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Kultur: Der fehlende Satz - Anmerkung zum Streit um den Littner-Roman

Wolfgang Koeppen war zeitlebens ein diskreter Mann, der zahlreiche Interviews gegeben hat. Er hat in diesen Interviews vieles erzählt und vieles verschwiegen.

Wolfgang Koeppen war zeitlebens ein diskreter Mann, der zahlreiche Interviews gegeben hat. Er hat in diesen Interviews vieles erzählt und vieles verschwiegen. Dies alles aber in seinem unverwechselbaren Koeppen-Ton. Ich habe eine große Zahl dieser Interviews gesammelt und 1995 unter dem Titel "Einer der schreibt" im Suhrkamp Verlag herausgegeben. Was macht der Herausgeber eines Interviewbandes? Er recherchiert und bibliographiert, er sammelt, sichtet und wählt aus. Und er macht Fehler. Einige der Interviews waren im Rundfunk gesendet worden, andere fanden sich in Büchern, Zeitschriften und Zeitungen. Erstere wurden transkribiert, von Letzteren beschaffte ich mir Fotokopien. Auch von einem im November 1989 in der taz erschienenen Interview besaß ich eine Fotokopie, die allerdings in keinem guten Zustand und zum Teil unleserlich war. Das taz-Interview war glücklicherweise kurz zuvor auch im Wiener "Falter" erschienen. Ich verglich Anfang und Ende des Textes, machte aber keinen Wort-für-Wort-Vergleich. Fehler Nummer 1. Beide Texte schienen mir identisch zu sein, und wir nutzten die besser lesbare Falterkopie für die Herstellung der Druckvorlage, vergaßen aber in der bereits erstellten Liste mit den Nachweisen, statt der taz den Falter zu nennen. Fehler Nummer 2. Nun erfahre ich aus zwei Beiträgen (von Theodore Fiedler und Reinhard Zachau) in der germanistischen Fachzeitschrift "Colloquia Germanica" (2/1999), dass in dem abgedruckten Interview ein Satz fehle, in dem Koeppen auf eventuelle Urheberrechtsprobleme hinweist in Bezug auf das 1992 unter seinem Namen publizierte Buch "Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch".

Der Satz lautet: "Ich habe sogar gedacht, mir es nun noch einmal anzugucken, ob man das nicht in der Edition Suhrkamp machen könnte, nur ergibt sich dann eine sehr komplizierte Rechtslage wegen der Urheberrechte." In der "Colloquia Germanica" ist vom "auffallenden Fehlen dieses Satzes beim Nachdruck des taz-Interviews" die Rede. Außerdem heißt es: "Das Fehlen dieses Satzes wirft mehr als eine Frage auf." Hierzu ist zu sagen, dass dieser Satz in unserer Druckvorlage, der "Falter"-Version, ebenfalls fehlt. Es finden sich dort allerdings andere Sätze, die sich wiederum in der taz-Version nicht finden. Das macht das Versehen des falschen Nachweises nicht wieder gut, erlaubt mir aber, entschieden die Unterstellung zurückzuweisen, hier handele es sich um eine absichtliche Manipulation zu dem Zweck, eine mögliche Urheberrechtsproblematik von Koeppens Littner-Buch zu kaschieren.

Natürlich ist es ärgerlich, dass ausgerechnet dieser Satz im "Falter" unter den Tisch gefallen ist. Warum er dort gestrichen worden ist, weiß ich nicht. Wahrscheinlich aus Platzgründen und weil er nicht besonders interessant erschien. Auch mir muss er damals nicht besonders interessant erschienen sein. Ich erinnere mich nicht daran, ihn überhaupt jemals gelesen zu haben.Unter dem Titel "Neues aus dem Erdloch" stellte der Tagesspiegel vom 25. August erstmals die germanistischen Forschungen zur Entstehung von Wolfgang Koeppens Buch "Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch" einer breiteren Öffentlichkeit vor. Demnach hat Koeppen als schriftliche Vorlage die Erinnerungen eines jüdischen Emigranten benutzt, deren Existenz er nicht preisgeben wollte. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Hans-Ulrich Treichel nimmt mit diesem Text dem Vorwurf, der Jüdische Verlag habe sich an Koeppens Verschleierungstaktik beteiligt, eine entscheidende Spitze. Ein klärendes Wort des Verlages zum Fall insgesamt steht allerdings noch aus.

Hans-Ulrich Treichel

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