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Szene aus Christopher Rüpings Theateradaption des Dogmafilms "Das Fest" im Schauspiel Stuttgart.

© JU Ostkreuz

Berliner Theatertreffen 2015: Der Film als Theater: "Das Fest"

Papi ist ein böser Mann: „Das Fest“ vom Schauspiel Stuttgart läuft beim Berliner Theatertreffen. Zwischenbilanz des Festivals: Ein Jahrgang, der gern aktuell, politisch, welthaltig sein will - was ihm nicht immer gelingt.

Die Aufführung beginnt furios. Gut eine halbe Stunde lang verwandeln sich sieben junge Schauspieler in grauen Strampelanzügen mit ein paar Hüten, Hemden, Stoffresten in eine Schar großer Kinder, die Geburtstag spielen. Tatsächlich spielen sie beim Berliner Theatertreffen „Das Fest“: den Handkamera-„Dogma“-Film von Thomas Vinterberg, der 1998 von einer großbürgerlichen dänischen Familie erzählt; vom Geburtstagsfest eines Patriarchen, der auf dem Höhepunkt der Party von seinen Söhnen und der Tochter bezichtigt wird, sie als Kinder missbraucht zu haben.

Das ist die Fallhöhe – Heiterkeit und Entsetzen. Aber kaum ist das Thema auf dem Tisch (hier sind es viele Tische aus dem Theaterfundus), verpufft das energisch fantasievolle Spiel: in brüllendem oder barmendem Leerlauf, noch eine lange Stunde lang.

Dieses „Fest“ vom Schauspiel Stuttgart zeigt ein sympathisches junges Ensemble und einen gerade 30-jährigen Regisseur (Christopher Rüping). Aber was frisch und hell beginnt, repetiert mehr und mehr alle Moden und Methoden des Theatertreffentheaters der letzten Jahre. Also wird 1. kein Theaterstück gespielt, sondern ein Film nachgestellt (Alternative: ein Roman). Und das „Fest“ wurde schon an vielen Theater gemacht, auch schon auf dem Theatertreffen gezeigt, von Michael Thalheimer aus Dresden. 2. Alle Spieler tauschen ständig Rollen und Geschlechter, agieren frontal mit Mikros. Und 3.: bloß keine durchgängige Erzählung, keine individuellen Charaktere (wie im Film), möglichst keine „Psychologie“ (ein Schimpfwort). Andererseits sollen Furcht und Mitleid nicht ganz fehlen, und kaum wird’s doch mal innig und persönlich, ist’s überraschend altbacken, betuliches Betroffenheitstheater.

Wenn eine Leerstelle gähnt auf der großen offenen Bühne, kommen ein paar Popsongs als Stimmungsteppich. Oder Geschrei, Gehampel, ein wenig (rührende) Nacktheit und Witzeleien: „Wie war die Stimmung in der DDR? Sie hielt sich in Grenzen.“ Später ruft das als Kinderschänder bloßgestellte Familienoberhaupt: „Ich habe euch doch alle geliebt!“ Wie einst Stasichef Mielke. Doch jene soziale Außenwelt, die Gesellschaft von den Dienern bis zu den Herren, in der im Film die unheilige Familie sich entfaltet, versteckt und entlarvt, die gibt es auf der Bühne nicht. Es existiert nur die Innenschau, mit schnell erkannter moralischer Botschaft.

Das ist das Problem dieses Theatertreffentheaters. Es will gerne aktuell, politisch, welthaltig sein. Und bleibt sonderbar welt- und wesenlos. Zum Auftakt bilden reale Flüchtlinge die Staffage von Jelinekwortspielereien. Oder die menschlichen Automaten im Anti-Theater der Fassbinder-Adaption „Warum läuft Herr R. Amok?“ zeigen menschliche Abgründe nur durch die Abwesenheit von Menschen. So ist der bisherige Höhepunkt des Theatertreffens 2015 Karin Henkels Ibsen-Vision, die den Bankrotteur und illusionistischen Machtmenschen John Gabriel Borkman in eine Art Führerbunker sperrt. Und diese Innenwelt durch fulminanteste Schauspielerei zum Explodieren bringt. Ausgerechnet im Bunker oder auch am Rande des Beckett-Kraters im Berliner „Warten auf Godot“ gingen einmal die Fenster auf: zum Theater und der Welt.

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