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Kultur: Der Finger Gottes

In Weimar wurde Franz Liszt vom virtuosen Jetsetter zum Zukunftsmusiker. Jetzt huldigt ihm die Stadt zum 200. Geburtstag

Immer wieder bekommt er eins auf die Finger. Nachts, wenn der Ilmpark in Dunkelheit versinkt, und der Meister ganz allein auf seinem Sockel steht, rückt ihm die jüngste Generation seiner Verehrer auf den Leib. Vor allem nach bestandenen Konzertexamen haben sie es auf einen seiner legendären Virtuosenfinger abgesehen. Mit einem Hämmerchen trennen sie ihn von dem Denkmal für Franz Liszt, das umweit seines letzten Weimarer Wohnortes an der Hofgärtnerei liegt. Eine Pflichtübung in Stein von 1902, unpersönlich geformt, stilistisch schwankend, als wüsste man nicht recht, wie man diesen Musiker und Kulturbeweger der Nachwelt vorstellen soll. Einzig die immer wieder verschwindenden Finger lassen an diesem Ort ahnen, dass sie noch lebt, die Lisztomania in Weimar.

Zum 200. Geburtstag will man hier dem Phantom Franz Liszt auf die Spur kommen, von dessen Ruhm jeder irgendetwas weiß, dem als Künstler jedoch immer noch mit Skepsis begegnet wird. Schwer zu fassen ist das Wirken dieses Mannes, der sich als „halb Zigeuner, halb Franziskaner“ beschrieb. Mit beiden Elementen tat sich die Nachwelt schwer, mit einer Kombination umso mehr. Die Landesausstellung Thüringen will mit Franz Liszt einen „Europäer im Weimar“ feiern. Sie beginnt im Schiller-Museum vor einer riesigen Landkarte. Auf ihr sind all die Orte markiert, an denen Liszt Station gemacht hat, wo er gelebt, geliebt und vor allem konzertiert hat. Unendliche Strecken legten der Virtuose und seine Instrumente zurück, die ihm per Schiff nach Odessa geschickt wurden oder auf dem Dach der Kutschen mitreisten.

„Beruf: Musiker. Geburtsort: Parnaß. Woher gekommen: aus Zweifel. Reiseziel: die Wahrheit.“ So schrieb sich Liszt bei einem seiner unzähligen Hotelaufenthalte ins Fremdenbuch ein. Geboren 1811 in der Provinz, dem burgenländischen, damals ungarischen Dörfchen Raiding, erfährt er durch den Vater eine außergewöhnliche Förderung. Anton Liszt gibt einen Beruf auf, um sich der Bildung des Sohnes zu widmen, einer ganzheitlichen Erziehung, die alle Künste umfasst, Austausch mit den führenden Köpfen der Zeit – und das Reisen. Auf den Geist der Musik zielt dieses studium generale, das Liszt in die europäische Bildungsoberliga katapultiert. Er wird ihm zeitlebens folgen, begleitet von heftigen Missverständnissen – seiner schwärmerischen Anhänger wie seiner erbitterten Gegner. „Und weil ich mich gab, wie ich war: ein enthusiastisches Kind, ein warmfühlender Künstler, ein strenger Gläubiger, mit einem Worte alles, was man mit 18 Jahren ist, weil ich es nicht verstand Komödie zu spielen, kam ich in den Ruf – ein Schauspieler zu sein“, notiert Liszt in seinen Reisebriefen eines Baccalaureus der Tonkunst, 1837.

Liszt, der Weitgereiste, ist ein Beziehungskünstler. Wie viele tausend Kilometer er auch zurücklegt, er bleibt stets dem Zentrum des europäischen Geisteslebens verbunden, mittels intensiver Korrespondenz. Immer dabei: das Reisekruzifix. Und sein Schriftzug in Kupfer, um das endlose Signieren durch Stempeln abzukürzen. In seinem österreichischen Reisepass findet sich in der Rubrik „Besondere Merkmale“ statt der üblichen Personenbeschreibung der knappe Hinweis: „Celebritate sua sat notus“ – durch seine Berühmtheit ausreichend bekannt.

Wie stark Liszt die Ideen seiner Zeit aufsog, wie reich die Eindrücke waren, die sein Werk bestimmen, davon geben in Weimar die ausgestellten Manuskripte eine Vorstellung – und lassen zugleich erahnen, wie viel Interpreten darin noch entdecken könnten.

Was Paris für den aufstrebenden Virtuosen war, sollte Weimar für den gereiften Künstler werden. 1842 ernannte man ihn zum Hofkapellmeister in außerordentlichem Dienst. In dem keine 12 000 Einwohner zählenden Städtchen entwickelte sich aus seinem fahrenden Dasein ein beinahe sesshaftes Leben, hier wandelte sich der geniale Interpret und Frauenschwarm zum ernsthaften Komponisten. Im Verzeichnis seiner Lebensphasen notiert Liszt nach „Saus und Braus“ sogleich: „Sammlung und Arbeit in Weimar“. Die Jahre von 1848 bis 1861 sollten die produktivsten seines Lebens werden, an der Seite der Geliebten Carolyne zu Sayn-Wittgenstein in der Altenburg arbeitend. „Genie hat ihm nicht gefehlt – aber Sitzfleisch“, notiert Carolyne.

Das in wilder Ehe lebende Paar – Carolyne ist noch in Russland verheiratet – irritiert die großherzoglichen Bürger. Liszt aber ist voll Tatendrang. Er organisiert das Musikleben Weimars neu, setzt sich unermüdlich für Komponisten wie Berlioz und Wagner ein. „Lohengrin“ erklingt erstmals 1850 unter Liszts Leitung. In Weimar, dem „Vaterland des Ideals“, will er an den Glanz der Klassik anknüpfen, mit einer Goethe-Stiftung, die die Künste im Wettstreit vereinen soll.

Das frisch restaurierte Liszt-Haus war der Alterssitz des Komponisten an der Ilm. Zwischen 1869 und 1886 verbrachte er dort regelmäßig mehrere Monate im Jahr, und da die Wohnräume im ersten Stock unmittelbar nach Liszts Tod in Bayreuth am 31. Juli 1886 zum Museum bestimmt wurden, lebt hier die Erinnerung an die Spätphase seines Lebens besonders intensiv fort. In den bescheiden dimensionierten Zimmern gab er seinen Unterricht, im Habit eines Abbé, kostenlos, umgeben von Scharen junger Musiker, die er wie seine Kinder empfing. Hier hielt ein Geistesfürst Hof, dem irdischer Besitz wenig bedeutete. Zeit seines Lebens erhielt er Geschenke genug und gab mit vollen Händen weiter. Geblieben sind massive Ehrentaktstöcke, Ehrenspazierstöcke, Ehrensäbel. Und ein Goldbarren, den ihm Carolyne schenkte – zum Beschweren der Noten, auf dass der Wind sie nicht mit sich riss. Als seinen wertvollsten Besitz betrachtete Liszt die Totenmaske Beethovens, die beim Korrespondieren und Komponieren stets zugegen war. Die Vorhänge im Liszt-Haus tauchen das Arbeitszimmer in die Farben Ungarns, eine späte Rückbesinnung auf die Wurzeln des Rastlosen. In der Reihe „Musik bei Liszt“ musizieren Klavierstudenten der Hochschule für Musik Franz Liszt am originalen Bechstein-Flügel des Meisters.

„Er ist hier, der Atilla, die Geißel Gottes aller Erard’schen Pianos, die schon bei der Nachricht seines Kommens erzittern und die nun wieder unter seiner Hand zucken, bluten und wimmern, dass sich die Tierquälergesellschaft ihrer annehmen sollte“, spottete Heine über den „Klavier- Schreck“ Liszt. Tatsächlich hat er Tasteninstrumente, ihre Stimmer und Erbauer mit seiner Kunst herausgefordert. Welche Instrumente Liszt spielte und wie rasant die Klavierbaukunst zu seiner Wirkungszeit voranschritt, davon berichtet der Ausstellungsteil „Kosmos Klavier“ im Schlossmuseum. Hier sind das Original und der spielbare Nachbau von Liszts Flügel der Marseiller Instrumentenbauer Boisselot & fils zu bewundern. Wenn er im Festsaal gespielt wird, dem einzig erhaltenen Konzertsaal der Ära Liszt, lebt ein Klangbild auf, das noch nicht vom mächtigen Stahlrahmen eines Steinways zusammengehalten ist. Schönheit und Verletzlichkeit gehen noch Hand in Hand.

„Glauben Sie mir, dass ich weder Orden, weder irgendwelchem Lob, weder Auszeichnungen oder Zeitungsartikeln nachjage“, schrieb Liszt an Carolyne. „Meine einzige Ambition als Musiker war, meinen Speer in den unendlichen Raum der Zukunft zu schleudern.“ Das geistige Weimar war für diese olympische Anstrengung der rechte Grund, das reale Residenzstädtchen von Großherzog Carl Alexander sollte dafür zu klein sein. Spät hat es erkannt, dass mit Liszt nicht nur eine schillernde Persönlichkeit, sondern auch ein funkensprühendes Bindeglied zwischen Klassik und Moderne in seinen Mauern wohnte.

„Franz Liszt - Ein Europäer in Weimar“. Schiller-Museum und Schlossmuseum Weimar, bis 31. Oktober, Di - So 10 - 18 Uhr. Katalog im Verlag der Buchhandlung Walther König, 29 Euro. Ab 19. August bietet auch das Weimarer Kunstfest „pèlerinages“ einen Liszt-Schwerpunkt. Weitere Infos: www.pelerinages.de.

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