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Kultur: Der Franc

Fast hätte ich hier, ersatzweise, das klassische, wohlproportionierte Einfrancstück besungen. Schon schön, das Nickelding - und immerhin war mit ihm die Säerin 1960 nach drei Jahrzehnten Pause auf die französischen Münzen zurückgekehrt.

Fast hätte ich hier, ersatzweise, das klassische, wohlproportionierte Einfrancstück besungen. Schon schön, das Nickelding - und immerhin war mit ihm die Säerin 1960 nach drei Jahrzehnten Pause auf die französischen Münzen zurückgekehrt. Die Säerin? Ja, so hat der Medailleur Louis-Oscar Roty (1840-1911) einst seine Schöpfung genannt, diese schönste Münzkehrseite der Welt. Sonnenaufgangs streut da eine junge Frau mit weitem Armschwung Samen aufs Feld, ihr Haar weht wunderbar verwischt im Wind, locker schwingt der Saum ihres knöchellangen Rocks, ja, und barfuß ist sie auch noch ...

Ich hätte aus meinem in Kistchen und Kästchen verkramten Reisemünzhäufchen 23 Einfrancstücke hervorgeholt, sie nach Prägejahr und türmchenweise sortiert, von 1960 bis 1977, von den schlechten zu den guten Jahren - und dann hätte ich eine Hymne auf, sagen wir, das Einfrancstück von 1968 angestimmt. Hätte vive la révolution gerufen, naja fast, aber Mai 68, da war doch was - und Rotys Säerin hätte, warum nicht, zum Beispiel von einem Demo-Wagen Flugblätter in die Menge streuen können, all diese Glückssamen, diese so unverwechselbar französischen Zauberkörner namens liberté-égalité-fraternité-éternité ...

Ja, das hätte sie sein können, ersatzweise, meine Liebeserklärung an die Semeuse, wie die Franzosen die Säerin nennen, die Ikone an sich. Sie ziert auch das Halbfrancstück, aber war diese Münze nicht immer ein bisschen klein und dafür zu dick? Auch auf dem später aufgelegten Zweifrancstück findet sie sich wieder - aber muss man die Säerin nicht eher beweinen, wie sie da rumsteht, stilisiert und versimpelt, gequetscht in ein zum Achteck gezwungenes Rund?

Und dann fand ich sie doch, auf dem ihr einzig wirklich würdigen Grund, republikanisch und majestätisch zugleich. Im hintersten Kästchen, zwischen neu blinkenden polnischen Zloty und alten rumänischen Lei, steckte meine einzige, prächtige Fünffrancsmünze - und obenauf leuchtete La semeuse, wie nur La semeuse leuchten kann. In diesen Tagen des Aufräumens werde ich sie beiseite sortieren ins Unwegwerfbare: so groß wie unser Fünfmarkbolzen, nun auf ewig dreimal weniger wert, aber hundertmal schöner.

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