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Kultur: Der Freibeuter

Bestsellerautor, Museumsstifter, Gesamtkunstwerk: Lothar-Günther Buchheim wird 85

Inzwischen sieht er aus wie ein Pirat. Lothar-Günther Buchheim trägt eine Augenklappe, seitdem er an den Folgen einer missglückten Operation laboriert. Man könnte die Klappe aber auch für den Teil einer Verwegenheitskostümierung halten. Streit ist Buchheim nie aus dem Weg gegangen, in jede neue Auseinandersetzung stürzte er sich lustvoll wie in die alles entscheidende Schlacht. Unter allen Künsten, die er beherrscht, ist die Kunst, andere Menschen zu beleidigen, nicht die geringste.

Als Kandinskys Witwe in den Sechzigerjahren juristisch gegen ein von Buchheim verlegtes Buch vorging, veröffentlichte er ein Pamphlet „Über die Kunst, Witwen zu verbrennen“. Politiker, mit denen er sich jahrzehntelang wegen der Gründung eines Museums für seine Sammlungen kabbelte, titulierte er als „Kulturschranzen“, „Gullyratten“ und „Schweinehunde“. Und seine Nachbarn im schönen oberbayrischen Flecken Feldafing beschimpfte er als „Unholde“, „Vandalen“ und „Unmenschen“, weil sie den Bau eines solchen Museums dort per Bürgerentscheid verhinderten. Vor zwei Jahren wurde das „Museum der Phantasie“ dann ein paar Kilometer entfernt in Starnberg eröffnet. Zu sehen sind dort neben Buchheims weltberühmter, auf einen Wert von rund 100 Millionen Euro taxierten Kollektion expressionistischer Gemälde auch afrikanische Häuptlingsthrone, indonesische Schattenspiele und bunt bemalte Zirkuspferde. Oft sitzt der Stifter in dem von Günter und Stefan Behnisch entworfenen Haus und lässt seinen einäugigen Blick über den Starnberger See schweifen. Man könnte ihn für einen glücklichen Menschen halten, der mit sich und der Welt im Reinen ist. „Kürzlich schrieb mir einer, ich sei weise geworden in meinem hohen Alter“, erzählte Buchheim in einem Tagesspiegel-Interview. „Eine ziemliche Beleidigung. Was noch toller war: Ich hätte eine warmherzige Ausstrahlung. Das darf doch nicht wahr sein!“

Lothar-Günter Buchheim ist ein Gesamtkunstwerk. Es gibt kaum einen künstlerischen Beruf, den er nicht ausgeübt hat. Er ist Schriftsteller, Maler, Fotograf, Verleger und Sammler, und in all diesen Professionen hat er es zu einigem Renommee gebracht. Er wurde in Weimar geboren und bekam mit 15 die erste Ausstellung seiner Zeichnungen im Dresdner Kupferstichkabinett. Nach dem Abitur paddelte er allein die Donau abwärts bis ins Schwarze Meer und schrieb darüber sein erstes Buch, „Tage und Nächte steigen aus dem Strom“. Aus dem Kunststudium riss ihn der Krieg, den er als Kriegsberichterstatter in einer Propagandakompanie verbrachte. Einige seiner Bilder hingen bei den NS-Kunst-Paraden im Münchener „Haus der Deutschen Kunst“. Seine Erfahrungen im U-Boot-Krieg verarbeitete er in dem 1973 erschienenen Roman „Das Boot“, der sich weltweit über drei Millionen Mal verkaufte und es in seiner Verfilmung zu sechs Oscar-Nominierungen brachte. Auch die über 1500 Seiten dicke Fortsetzung „Die Festung“ schaffte es 1995 in die Bestsellerlisten. Gleich nach dem Krieg begann Buchheim mit der Herausgabe von Postkarten, Kalendern und Büchern, die in der NS-Zeit verfemte Kunst des Expressionismus in Deutschland populär zu machen. Und er erwarb Gemälde von Kirchner, Pechstein, Beckmann und Nolde zu einem Zeitpunkt, als sie noch lächerlich billig waren. Bei manchen Auktionen kaufte er damals „oft nur aus Wut, weil keiner von den Museumsherren die Hand hob“.

„Ich sehe was, was du nicht siehst“, könnte die Autobiografie heißen, die er vielleicht noch schreiben wird. Im deutschen Kunst-, Literatur- und Museumsbetrieb ist Lothar-Günther Buchheim auch als Einäugiger ein König. Heute wird er 85 Jahre alt.

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