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Kultur: Der Gangster und das Baby

Soweto kann so schön sein: Gavin Hoods oscar-prämiertes Weltverbessererwerk „Tsotsi“

Am Ende steht er mit erhobenen Armen im Scheinwerferlicht, Tsotsi, der Schläger und Totschläger, ein makellos weißes Hemd auf dem Körper, in den Augen Tränen, ein flehender Blick. Ein entführtes Kind ist gerettet, ein hartes Herz geöffnet. Und die Strafverfolgung nimmt doch ihren Lauf.

Ganz anders hatte es begonnen, furios. Stampfende Rhythmen, Kwaito, die Musik der Kids von Johannesburg. Vier harte Jungs sind in der Dunkelheit unterwegs, Lederjacken, Kapuzenpullis. In der U-Bahn drängen sie sich um einen älteren Mann, der lächelt sie freundlich an, blickt dann irritiert um sich. Und schon blitzt ein Messer auf, bohrt sich in die Brust, der Mann bleibt stehen, gehalten im Gedränge des Berufsverkehrs. Auf dem Bahnhof strömt alles aus dem Wagen, ein Toter liegt am Boden.

Ein Leben gilt nichts unter den Halbwüchsigen aus den Shanty-Townships, den Ghettos von Soweto vor Johannesburg. Sie mögen zwar nachher in Streit geraten, von „Anstand“ reden und davon, dass da einer zu weit gegangen ist. Aber wer „Butcher“ (Schlachter) oder „Tsotsi“ (Gangster) heißt, der trägt sein Schicksal schon im Namen. Und schon naht das nächste Opfer, steht in der Dämmerung, im Regen eine Minute zu lang am verschlossenen Gartentor, und es knallt. Ein Schuss, und weg. Doch kaum hat Tsotsi kaltblütig abgedrückt, setzt er das geklaute Auto gegen den Baum. Auf dem Rücksitz weint ein Baby – die Frau, die er überfallen hat, war Mutter.

Viel erinnert in Gavin Hoods „Tsotsi“ zunächst an Fernando Meirelles’ fulminanten Erstling „City of God“: schnelle Schnitte, harte Rhythmen, coole Jungs und früher Tod. Man spricht „Tsotsi-Taal“, ein Jugend-Gangsta-Mix mit englischen und holländischen Einsprengseln. Kinder leben in leeren Kanalisationsrohren, Erwachsene in Wellblechhütten, eine Knarre ist schnell zur Hand, und das Einzige, was noch gilt, ist das Gesetz der Gang. In „Tsotsi“ flimmern die Wellblechstädte im blauen Nebel der Luftverschmutzung, darunter braune Erde, sehr malerisch, sehr unwirklich, wie eine Mondlandschaft. Längst organisiert man sich hier selbst, in den „Shebeen“, illegalen Schnapsbars, bietet man sich Jobs an – auch Killerjobs. Und ganz in der Nähe liegen die Vororte des Mittelstands, gated communities, mit Mauern, Gittern, Überwachungsanlagen. Sie wissen, wovor sie sich schützen.

Der Zusammenprall dieser Welten, den der Film nach einem legendären Roman von Athol Fugard aus den fünfziger Jahren schildert, kommt heftig – und überraschend. Denn Tsotsi, der harte Klotz, wird nach seinem Autoraub weich, spielt hingebungsvoll Vater. Wickelt den Knirps in Zeitungspapier, füttert ihn mit Konserven, sucht eine Ersatzmutter, die er mit vorgehaltener Knarre zum Stillen zwingt, besorgt Trockennahrung und Babyflaschen. Fürsorglich wird er schließlich sogar seinen Mitgangstern gegenüber: Nachdem er sie zusammengeschlagen hat, pflegt er sie – und entschuldigt sich auch noch. Ja, das Kind öffnet ihm zur eigenen Kindheit eine Tür, die er selbst längst verrammelt hatte.

Das mit dem Entschuldigen ist Hood besonders wichtig. „Die Menschen merken es, ob man es ernst meint oder nicht“, sagt er in einer Preview-Diskussion in Berlin. Eine universelle Botschaft will er vermitteln, eine Botschaft gegen Gewalt und für Menschlichkeit – und wohl vor allem dafür gab es den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Ob Tsotsi, der am Ende einem Prozess wegen Mordes, Entführung und schwerer Körperverletzung entgegensieht, diese Menschlichkeit in eine Chance wird verwandeln können?

Central, Cinestar Sony-Center (OV), FT Friedrichshain, Hackesche Höfe (OmU), Kant, Kulturbrauerei, Yorck und Zoo-Palast

Christina Tilmann

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