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Kultur: Der ganz alte Wilde

Tarzan und King Kong in einer Person: Iggy Pops Lebenswerk auf CD und DVD

Es gibt, grob gesagt, zwei Arten von Popstars: die Dandys und die Freaks. Dandy- Popstars wie Bryan Ferry oder Elton John zeigen sich in eleganten Maßanzügen oder bizarren Kostümen, auch nach zweistündigen Konzerten scheinen sie keinen Tropfen Schweiß verloren zu haben. Iggy Pop gehört definitiv in die zweite Kategorie: Vor seinen Auftritten zieht er sich nicht an, sondern aus, auf der Bühne verwandelt er sich dann von dem 58-jährigen älteren Herrn, der er mittlerweile ist, in ein wildes Biest, ein Rock’n’Roll-Animal . Er reckt seine nackte Brust nach vorn, auf der Narben von Rippenbrüchen und anderen Arbeitsunfällen künden, tänzelt mit wedelnden Armen an der Rampe entlang, brüllt „Harder, Harder!“ und lässt sich – Pop-Historiker schreiben ihm die Erfindung des so genannten Stagedivings zu – in die ausgestreckten Arme seiner Fans fallen. Iggy Pop ist Tarzan und King Kong in einer Person, Mick Jagger wirkt im Vergleich zu ihm wie ein müde zappelnder Go-Go-Boy.

Iggy Pop gehört zu den großen Überlebenden der Pop- Musikgeschichte. Im Laufe seiner vierzigjährigen, lange zwischen Exzessen und Entziehungskuren taumelden Karriere dürfte er mehr harte Drogen konsumiert haben als fast alle anderen Rockheroen. Legendär wurde ein Auftritt im „Whisky“-Club von Los Angeles in den Siebzigerjahren, bei dem Pop zu Beginn das Publikum um Spenden bat, mit denen er seinen Heroin-Dealer bezahlen könne. Er setzte sich auf offener Bühne einen Schuss und kollabierte. Die Zuschauer hielten den Kreislaufzusammenbruch für eine gelungene Showeinlage und applaudierten. Inzwischen ist Iggy Pop clean, sein letzter Heroin- Rausch liegt zwanzig Jahre zurück.

Keines seiner Stücke schaffte es in die Top Ten der US-Charts, von seinen Alben „Avenue B“ (1999) und „Beat ’Em Up“ (2001) verkaufte er nur jeweils 20000 Exemplare. Trotzdem gilt der „Pate des Punk“ („Rolling Stone“) als einer der wichtigsten Erneuerer der Popgeschichte, auf den sich spätere Brachial-Bands wie Nirvana und die White Stripes berufen haben. Nun wird sein Lebenswerk angemessen gewürdigt: mit der CD-Anthologie „A Million in Prizes“, die knapp 40 Titel auf zwei CDs versammelt, und der DVD „Live At The Avenue B“, die ein Konzert im „Ancienne Belgique Theatre“ zu Brüssel aus dem Jahr 1999 dokumentiert (beide bei Virgin ).

Iggy-Pop-Konzerte sind noch immer, das zeigt die DVD, dionysische Feste der Ausschweifung, Gegen-Gottesdienste eines bizarren Ein-Mann-Kultes. So wie der auferstandene Christus seine Stigmata vorzeigte, präsentiert der Sänger seinen geschundenen Körper, der die Fegefeuer des Sex&Drugs&Rock’n’Roll überstanden hat. Bei „Lust For Life“, seiner Hymne aus dem Jahr 1977, die erst 1996 durch den Soundtrack des Films „Trainspotting“ zum Hit wurde, stemmt er sich gegen den Mikrofonständer, als müsse er der von ihm entfesselten Energie trotzen, die ihm aus dem Saal entgegenbrandet. „Lust For Life“ und seinen anderen Mitgröl-Erfolg „The Passenger“ schrieb Iggy Pop mit David Bowie in Berlin. „David hat mir das Leben gerettet“, erzählte Pop jetzt dem britischen Magazin „Mojo“. Bowie hatte den Kollegen nach einem Entzug in seinem Schöneberger Gästezimmer aufgenommen, damit begann ein kreativer Höhenflug, den die Doppel-CD mit neun Titeln würdigt.

„Well it’s 1969 ok all across the USA / It’s another year for me and you / Another year with nothing to do“, raunt Pop bei „1969“, dem Eröffnungsstück der Anthologie. Mit den Stooges, die er 1967 in Michigan gegründet hatte, setzte Pop der Flower-Power-Fröhlichkeit der Hippies einen düsteren Nihilismus entgegen, der die No-Future-Stimmung des Punk um zehn Jahre vorwegnahm. Die Stooges sahen aus wie räudige Hunde, ihre Musik – mit elf Stücken der zweite Schwerpunkt von „A Million in Prizes“ – bestand aus simpelsten Blues-Riffs und monotonem Wah-Wah-Gejaule. Als die Band ihr von Jahn Cale produziertes Debütalbum in New York aufnahm, tanzte Pop dabei die ganze Zeit, „sonst hätte es nicht so toll geklungen“. Andy Warhol war entzückt, aber weil kaum jemand die Platten kaufte, löste sich die Band 1971 schon wieder auf. Seit vier Jahren tritt Iggy Pop wieder mit seinen alten Mitstreitern auf. „Ich fühle mich gesegnet“, sagt er. „Vielleicht kriegt mein Leben noch ein Happyend.“

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