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Tilmann Köhler

© ddp

Kultur: Der Geist der Hyäne

Theatertreffen Berlin: die Weimarer Krankheit der Jugend in den Sophiensälen

Das ist also der Regisseur der Stunde: Tilmann Köhler, 27 Jahre alt, vor zwei Jahren noch Absolvent der Berliner Ernst- Busch-Schauspielschule, dann direkt und zusammen mit seiner fünfköpfigen Schauspieltruppe ans Deutsche Nationaltheater Weimar engagiert. „Penthesilea“, „Der Drache“, „Othello“. Weimer jubelt. Und mit seiner nächsten Arbeit, Ferdinand Bruckners „Krankheit der Jugend“ wird Köhler zum diesjährigen Theatertreffen nach Berlin eingeladen, wohin er als Leiter des Theaterworkshops „Kloster der Wut“ im Maxim Gorki Theater ohnehin unterwegs war.

Schon wird von einer neuen Generation gesprochen, der Nach-Ostermeier- Generation, und bei der Premiere in den überquellenden Sophiensälen sind denn auch viele Intendanten anwesend, die ihre ewig nach jungem Blut Ausschau haltenden Augen auf den gekachelten Sezierraum richten, den Karoly Risz gebaut hat. Man sitzt wie im Stadion um die Arena herum – oder wie im Hörsaal der Anatomie.

Nackt, einfach, direkt: Mehr als einen stählernen Untersuchungstisch auf Rollen, zwei Flaschen Wasser und eine Grundidee braucht Köhler nicht. Bevor es losgeht, beugen sich sechs Schauspieler über Marie (Eve Kolb), die leblos und kaum bekleidet auf dem Tisch liegt, gucken, riechen, nagen an ihr – und beobachten sich dabei aus gefühllos-neugierigen Augen. Bruckners „Krankheit der Jugend“ aus dem Jahr 1925 handelt von Medizinstudenten, die ihre Sinnkrisen in wechselnden Beziehungen und sadistischen Gefühlsexperimenten ausleben und dabei auch noch – das ist wohl mit Krankheit gemeint – jede Handlung verbal sezieren.

Köhler inszeniert konsequent aus dem Geist der Hyäne. Bei ihm ist das Bäumchen-Wechsel-Dich eine einzige Aasfresserei – und da die Kammer kaum Platz bietet, müssen die ausgehungerten Tiere sich viel bewegen. Es wird gestürmt, geschleudert, geschubst und kraftvoll immer wieder das Geländer erklettert. Alles will. In das Fleisch des anderen hinein oder aus der eigenen, vom Pilz der Reflexion befallenen Kratzhaut heraus. Oder liegt in Fresspausen unbeteiligt auf dem Rand des Beckens. Dass – trotz der Bewegungskraft und live gespielter Hits von Tocotronic – der Funke nicht überspringt, liegt in der Natur des Konzepts. Hyänen sind Überlebenskünstler und nicht als traurige Tiere bekannt. Ein wenig von Melancholie angenagt sollte schon sein, wer Bruckner inszeniert. Andreas Schäfer

Andreas Schäfer

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