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Kultur: Der georgische Komponist ist bei den Endproben in Berlin nicht so gelassen, wie er scheint

Die Idee, dass dieser rundliche ältere Herr innerlich nicht so gelassen sein könnte wie es der erste Eindruck vermuten lässt, kommt einem erst ganz allmählich. Kleine Indizien nur sind es, die auf eine innere Unruhe hindeuten: Die Schweisstropfen, die trotz des vollklimatisierten Hotelfoyers an Gija Kantschelis dichtem weissen Schnurrbart hängen, die momentweise aufflammenwollende Gereiztheit im Gespräch, die eigenartige Mischung aus Liebenswürdigkeit und Ungeduld in den braunen Augen.

Die Idee, dass dieser rundliche ältere Herr innerlich nicht so gelassen sein könnte wie es der erste Eindruck vermuten lässt, kommt einem erst ganz allmählich. Kleine Indizien nur sind es, die auf eine innere Unruhe hindeuten: Die Schweisstropfen, die trotz des vollklimatisierten Hotelfoyers an Gija Kantschelis dichtem weissen Schnurrbart hängen, die momentweise aufflammenwollende Gereiztheit im Gespräch, die eigenartige Mischung aus Liebenswürdigkeit und Ungeduld in den braunen Augen.

Für einen Tag nur ist er nach Berlin gekommen, um die Einstudierung von "Rokwa" durch das Deutsche Symphonie-Orchester abzusegnen - bevor dieses neuste Kantscheli-Werk seine Uraufführung in Luzern und Berlin erleben wird. "Die Zweifel verlassen mich nie," gesteht er offen ein. "Obwohl ich mit 64 eigentlich genug Erfahrung haben müsste, bin ich noch immer aufgeregt, wenn ich ein Werk von mir zum ersten Mal höre. Denn vorher weiss ich nie, ob das, was ich ausdrücken wollte, auch hörbar wird, oder ob ich nicht doch noch etwas verändern muss." Als er noch in Tiflis lebte, habe er sich zwei bis drei Jahre Zeit für jedes grössere Werk gelassen, seit er aber vor neun Jahren in den Westen emigriert ist, seien schon zwanzig neue hinzugekommen.

In den letzten Jahren ist der Georgier neben dem Esten Arvo Pärt und dem Briten John Taverner zum prominentesten Vertreter einer Komponistenrichtung geworden, die ihre spirituellen Inhalte durch den Rückgriff auf schlichte, bewusst archaisierende musikalische Stilelemente zu vermitteln sucht. Auch wenn der Komponist selber das Stichwort von der "Neuen Einfachheit" nicht allzu gern hört: "Sicher, meine Sprache ist mit den Jahren einfacher geworden, aber das ist doch nur ein Teil eines jeden Werkes. Man darf diese Einfachheit nicht direkt verstehen, sie kann genauso verschieden sein wie die Stille. Wichtig ist, dass hinter der Einfachheit etwas steht, eine Art großes Fragezeichen, das von jedem unterschiedlich interpretiert werden kann." Diese "Einfachheit" drückt sich in Kantschelis Werk auch durch die offenbare Verwurzelung in der traditionellen Musik Georgiens aus. Auch jetzt noch, fast ein Jahrzehnt, nachdem er sein Geburtsland verlassen hat. Gerade, erzählt er, arbeite er an einem großen chorsinfonischen Werk, das habe er in Tiflis begonnen, in Antwerpen fortgesetzt, dann wochenweise auf seinen Reisestationen weiterkomponiert, immer mit seiner elektronischen Tastatur im Gepäck. Seine Popularität hat Kantscheli in einem Alter erlangt , in dem etliche Komponisten über das allmähliche Versiegen ihrer Inspiration klagen. Nach seinem neuen Werk, "Rokwa" befragt, kehrt seine zwischendurch fast verflogene Unruhe freilich noch einmal zurück. Nein, er könne jetzt gar nichts sagen - schließlich wisse er nicht, ob er nicht doch noch ganz viel ändern müsse . . .Gija Kantschelis Orchesterwerk "Rokwa" wird morgen um 20 Uhr im Schauspielhaus Berlin uraufgeführt.

Jörg Königsdorf

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