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Kultur: Der goldene Schuss

Salzburger Festspiele: Kent Nagano dirigiert „Hoffmanns Erzählungen“ im Cinemascope-Format

Alle Fürsorge hat nichts genützt. Wenn der Chor im Finale von „Hoffmanns Erzählungen“ in einer feierlichen Apotheose Liebe und Leid des Lebens beschwört, bindet sich der Dichter wieder den Arm ab, um sich einen Schuss zu geben. Er bleibt drogenabhängig. Da wird es denn auch der Muse, die ihm so lange beigestanden hat, zu viel, sie verlässt den Künstler und rennt entschlossen von der Bühne.

In David McVicers Salzburger Neuinszenierung von Jacques Offenbachs posthum veröffentlichter Oper ist die Figur der Muse deutlich aufgewertet und mit Hoffmanns Begleiter und Freund Nicolausse zusammengelegt: Als Frau eines alkohol- und drogenabhängigen, realitätsuntüchtigen Künstlers sucht sie dessen selbstzerstörerischen Tendenzen entgegenzuwirken, ja will ihm offenbar bei der Aufarbeitung unbewältigter Traumata beistehen. Hoffmann und die Muse: ein versoffenes Genie und seine verständnisvolle Gefährtin. Ein plausibler Einfall, wenn auch nicht neu. Wenn nur dessen Realisierung nicht so bitter enttäuscht hätte ...

Gezeigt wird auf der weiten Bühne des Großen Festspielhauses ein Cinemascope-Schinken, der in seinen bräunlichen Grundfarben, seinem Dämmer- und Gegenlicht (Ausstattung Tanja McCallin) bisweilen an vergilbte Historiengemälde erinnert. Der Dichter kauert meist abseits in der Ecke, seine genialen Gedanken immer wieder auf Berge von Papier kritzelnd. Olympia, Antonia und Giulietta sind keine realen Figuren, sondern dichterische Ausgeburten – eine bequeme Ausrede für jeden Regisseur, um sie nicht plausibel interpretieren zu müssen.

„Hoffmanns Erzählungen“ sind als Fragment überliefert, und die Diskussion der Fassungen, vor allem intensiviert durch die Funde Michael Kayes in den 80er Jahren, ein beliebtes Feld musikwissenschaftlicher Kontroversen. Man sollte sie nicht zu ernst nehmen, zumal die Funde die Substanz des Werkes kaum relativiert haben. Kent Nagano, der Dirigent der Salzburger Aufführung, hatte die neue Kaye-Fassung, die den Venedig-Akt ein wenig erweitert, bereits in Lyon einstudiert und als CD eingespielt. Seine „Salzburger Fassung“ orientiert sich aber nicht an textkritischer Genauigkeit, sondern an aufführungspraktischer Ökonomie. Im Großen Festspielhaus soll „Hoffmanns Erzählungen“ als „große romantische Oper in Wiener Tradition“ präsentiert werden, erweitert einige Couplets – wobei man daran dachte, alle Sängerinnen gleichmäßig zu beteiligen, was vor allem die Muse und Giulietta aufwertet. Als Angelika Kirchschlager ihr Augen-Couplet aus dem zweiten Akt in einer frühen, kaum gespielten Fassung vorträgt, beginnt die Aufführung zumindest musikalisch zu interessieren – und ist insofern doch gerettet: Plötzlich durchbricht ein betörend operettenhafter Chanson-Klang die Opernroutine. Und auch der farbig aufgefächerte warme Ton, den die Wiener Philharmoniker unter Nagano erzielen, nimmt immer mehr ein. Möglich, dass eine konzertante Aufführung die Konzentration dafür noch erhöht hätte.

Die Salzburger Festspieldirektion meldete schon vor Saisonstart sensationelle Zunahmen im Verkauf, was neben dem unverwüstlichen „Jedermann“ vor allem an der „mehrfach überbuchten“ Offenbach-Oper liege. Die Kassen füllen sicherlich die zugkräftigen Stars, neben Neil Shicoff (der den Hoffmann seit 23 Jahren mehr als hundert Mal gesungen hat) vor allem Ruggiero Raimondi als teuflischer Gegenspieler und neben der wunderbaren Angelika Kirchschlager auch Waltraud Meier, die in dieser „Salzburger Fassung“ ein etwas simples Lied der Giuletta zur Uraufführung bringen durfte. Aber die erhofften Sternstundengefühle stellten sich dennoch nicht ein. Auch Genies wie Neil Shicoff kommen eben manchmal über eine gekonnte Routine nicht hinaus. So spendete das Premierenpublikum auch seinen Lieblingen verblüffend wenig Beifall – und bedachte den Regisseur mit vielen, wenngleich dezent vorgetragenen Buhs.

So weit ist in Salzburg die konservative Wende beim Publikum also doch noch nicht fortgeschritten, dass man sich wieder nach jenen Breitwand-Inszenierungen sehnte, wie sie in den Siebzigerjahren zu sehen waren, als Maestro Herbert von Karajan allen Moden trotzend selbst die Regie übernahm.

Bernhard Doppler

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