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Kultur: Der große Abwesende

Zoff um Peter Zadek: der Europäische Theaterpreis in Thessaloniki

Auf den Augenblick haben alle gewartet. Seit anderthalb Stunden sitzt die zehnköpfige Jury des Europa-Theater- Preises auf der Bühne des „Theaters für Mazedonische Studien“ in Thessaloniki und sagt nichts. Zumindest nicht das, worauf es ankommt: warum sie Peter Zadek den Preis in letzter Minute wieder aberkannte – nachdem sie die Auszeichnung ihm und dem kanadischen Regisseur Robert Lepage zu gleichen Teilen zugesprochen hatte.

Stattdessen das Übliche. Dank an den Gastgeber Griechenland, dessen Kultusministerium den Hauptteil der Veranstaltung bezahlt hat (der griechische Staatssekretär lächelt glücklich wie ein Buddha), Dank an den Gründer des Preises, einen Kulturfunktionär der Europäischen Kommission (dessen Erbe Alessandro Martinez lächelt wie ein Aristokrat mit Magengeschwür). Dank an die Antike, denn ohne Antike gäbe es wahrscheinlich keine Theaterpreise; vor allem aber Dank an sich selbst, denn: „Heute wird ein sehr bedeutender Preis verliehen!“, wie es Georges Banu von der „Internationalen Vereinigung der Theaterkritiker“ stolz formuliert.

Dann wird dieser sehr bedeutende Preis verliehen: An den lettischen Regisseur Alvis Hermanis und die serbische Dramatikerin Biljana Srbljanovic für „Neue theatralische Wirklichkeiten“ (jeweils 20 000 Euro) und an Robert Lepage (30 000 Euro), dessen Dankesrede mit den Worten endet: „Hier wurde viel über Kommunikation, aber wenig über Gemeinschaft gesprochen.“

Schließlich liest das Jurymitglied Ian Herbert hastig den Brief Peter Zadeks vor, in dem dieser kurzfristig sein Nicht-Kommen bekannt gibt, wegen seiner Gesundheit und weil ein Schauspieler von „Was ihr wollt“ umbesetzt werden musste. Zur Antwort der Jury und also zur Aberkennung des Preises wegen Nicht-Erscheinens kommt Herbert nicht mehr.Plötzlich steht Angela Winkler hinter ihm wie ein drohender Geist. „Ihr redet und redet“, sagt die Schauspielerin. „Hier geht’s doch ums Theater. Wir wollen endlich anfangen. Los, runter von der Bühne.“ Herbert lächelt verkrampft, die anderen stehen sofort auf wie ertappt, und im Saal brandet Applaus auf.

Der kleine Aufritt, bevor schließlich Zadeks „Peer-Gynt“-Inszenierung vom Berliner Ensemble die Verleihung abschließt, bringt nicht nur den kollektiven Unmut über eine groteske Veranstaltung zum Ausdruck, sondern rückt die Verhältnisse auch wieder zurecht. Zadek, der große Abwesende, hat gewonnen, und die Jurymitglieder, die im Rausch der Selbstüberschätzung auch mal großes Theater haben geben wollen (zickige Regisseure, die nur das Preisgeld abgreifen wollen, müssen bestraft werden!), stehen plötzlich wie Schuljungen da, denen die Angst vor der eigenen Courage von den Gesichtern abzulesen ist. Um zwei Uhr in der Nacht steht Angela Winkler am Abschlussbüfett und sagt gut gelaunt: „Ach, das war ganz spontan.“

Angeblich soll die Verleihung des Europa-Theater-Preises ja mal ein großer Spaß gewesen sein. Damals, als sie noch im sizilianischen Städtchen Taormina stattfand, wo die Auszeichnung 1987 erstmals vergeben wurde. Der Preis selbst, der an Peter Brook, Robert Wilson, Heiner Müller, Pina Bausch und 2006 an Harold Pinter ging, wird zwar nicht allzu ernst genommen, aber die europäische Theatergemeinde reiste gern an. Familientreffen sind doch etwas Schönes; außerdem konnte man schwimmen gehen. Die Finanzierung dieses Preises war allerdings von Beginn etwas verworren, ein Teil kam von der Europäischen Union, ein anderer aus Sizilien. Als sich die politischen Verhältnisse verschoben, brach auch die Finanzierung weg, und so fand die Verleihung einige Jahre überhaupt nicht statt, bis der Theaterzirkus im letzten Jahr nach Turin reiste – im Windschatten der olympischen Winterspiele war noch ungebundenes Geld aufgetaucht.

Jetzt also Thessaloniki! Inzwischen ist die Förderung durch die EU so weit geschrumpft, dass sie nur noch die Preisgelder abdeckt. Griechenland musste also für dieses Event, bei dem vierhundert Theatermacher und Journalisten in exzellenten Hotels untergebracht sind, tief in die Tasche greifen und würde den Preis aus Prestigegründen trotzdem gern im Land halten: Europa! Wiege des Theaters! Von Thessalonikis Promenade mit den unzähligen Cafés kann man schließlich über den thermaischen Golf bis zum schneebedeckten Gipfel des Olymp sehen.

Leider zeigt Europa an diesen drei Tagen nicht seine ideelle Seite, sondern nur sein schaurig mit den Knochen klapperndes bürokratisches Skelett, auf dem ein vielzüngiger Wasserkopf sitzt, der wahnsinnig viel redet, aber nicht zu verstehen ist. Müde Podiumsprofis bevölkern ein Dutzend unmotivierte Diskussionsforen und halten Kurzvorträge, etwa über die „Verbindung von Krieg und Alltag“ im Werk von Biljana Srbljanovic oder „Die Funktion der Medien in den Inszenierungen Roberte Lepages“, deren Inhalte von der Simultanübersetzung in sinnfreies Rauschen zerstäubt werden. Den Höhepunkt dieser Kommunikationslosigkeit bildet die Vorstellung „Vaeter“ von Alvis Hermanis aus Zürich. Drei Schauspieler aus Deutschland, Russland und Litauen berichten über ihr schwieriges Verhältnis zu ihren Vätern, während im Zuschauerraum nur das Knistern und Knacken der Geräte zu hören ist.

Das fiele vielleicht weniger unangenehm auf, wenn über allem nicht das unprofessionelle Schweigen der Jury zum „Fall Zadek“ schwebte. Manfred Beilharz, Intendant des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden und nach Renate Kletts Ausscheiden im letzten Jahr einziges deutsches Mitglied, reist erst am Tag der Preisverleihung an und kann oder will nichts sagen. Alessandro Martinez, Generalsekretär des Europa-Theater-Preises, erklärt zutiefst beleidigt, dass alle Preisträger bisher persönlich erschienen seien, selbst Harold Pinter und der schwer kranke Heiner Müller. Zadek, der im letzten Jahr zur Preisverleihung an Pinter noch nach Turin gereist war, wirft den Organisatoren „absolute Ahnungslosigkeit vom Theater“ und „unmenschliches Verhalten“ vor und lässt über seinen Anwalt Peter Raue nun auch gegen die Aberkennung protestieren: In den Statuten, so Raue, stehe keineswegs, dass der Preisträger zur Verleihung anreisen müsse.

Ein Lichtblick auf diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten ist der erfrischende Auftritt Robert Lepages, der nicht nur von der großen Bedeutung des Teams für seine Arbeit spricht, sondern in poetischen Mini-Inszenierungen auch die Gesetze der Schwerkraft überlistet. „Wer braucht eigentlich Preise?“ fragt derweil ein Kolloquium in einem Hinterzimmer. „Na wir, die Kritiker“, sagte Kim Yun-Cheol. „Sie geben unserer Arbeit eine offizielle Legitimation.“ Kim Yun-Cheol kommt aus Korea, wo man offensichtlich pragmatischer denkt als im Alten Europa.

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