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Kultur: Der Hausmeister

Wolfgang Wagner, der Alte vom Grünen Hügel in Bayreuth, wird heute 85 Jahre alt. Wo liegt das Problem?

Wer ist Wolfgang Wagner? Blöde Frage: der Leiter der Bayreuther Festspiele. Dieses Amt versieht er seit 53 Jahren, anfangs noch an der Seite seines Bruders Wieland, dann, mit dessen Tod 1966, in seliger Alleinherrschaft. So oder so ist das eine schier übermenschliche Lebensarbeitszeit, und natürlich ist diese an dem „Alten“ – wie man ihn halb zärtlich, halb spöttisch nennt – keineswegs spurlos vorübergegangen. Schlohweiß prangen die Liszt-Haare über der Wagner- Nase, und es kann schon einmal passieren, dass er mit kräftiger Lautstärke und einiger Erregung in deftigstem Fränkisch vor sich hin brabbelt, trifft man ihn des Sommers auf einem seiner Wege vom oder zum Bayreuther Festspielhaus.

Heute feiert Wolfgang Wagner seinen 85. Geburtstag, und wer würde ihm solche kleinen Selbstvergessenheiten je nicht nachsehen? Das Problem freilich (so es an einem derart hohen Ehrentag eines geben kann) ist nicht das Alter. Angesichts demoskopischer Prognosen, die uns in absehbarer Zeit satte 100 Jahre alt werden lassen, stellt sich das Phänomen Wolfgang Wagner wohl eher als Speerspitze einer Methusalem-Initiative dar, an die wir Jüngere immer noch nicht recht glauben wollen. Es sind das Feuer und der Ehrgeiz und die Chuzpe und die unbändige Lust zur Macht, die den „Alten“ fit und an der weltumgreifenden Wagner-Arbeit halten. Und auch das ist nicht das Problem, denn was bräuchte ein Festspielchef im 21. Jahrhundert dringlicher als genau diese Qualitäten? Außerdem hat Wolfgang Wagner mit der Dernière seiner „Meistersinger“-Inszenierung 2002 dem Regieführen ultimativ Adieu gesagt – womit das schärfste Argument gegen ihn nicht mehr sticht. Seine eigenen Aufführungen, so witzelte einst die „FAZ“, besäßen den Charme eines Autoreifens der Fünfzigerjahre.

Jetzt und in Zukunft aber herrschen auf dem Grünen Hügel künstlerisch andere Namen. Wolfgang Wagner wusste Christian Thielemann als musikalischen Kronprinzen zu küren und er setzt in der Regie – nach Jahren hartleibiger Durchschnittskost – auf um jeden Preis fachfremde und insofern spektakuläre Besetzungen. Christoph Schlingensief hat dieses Tor aufgestoßen, Tankred Dorst wird der nächste sein, der es passiert (wenn es denn stimmt, was die Latrinen wispern, nämlich dass der Dichter für Lars von Trier in die „Ring“-Bresche 2006 springt). Dagegen nehmen sich Christoph Marthaler („Tristan“ 2005) und Tochter Katharina Wagner („Meistersinger“ 2007) geradezu erschreckend konventionell aus. Dass für Wolfgang Wagner ein Peter Konwitschny offenbar ebensowenig in Frage kommt wie ein Neuenfels, ein Nel, ein Sellars oder Wilson, mag einer Anwandlung von (Alters-)Trotz zuzuschreiben sein.

Wenigstens ex negativo aber bekundet diese Entscheidung eine gewisse Absicht: Die Bayreuther Festspiele hängen ihr Fähnchen nicht in jeden ästhetisch-politischen Wind, sagt sie, die Bayreuther Festspiele sind eben anders. Nur wie sie sind und sein sollen und warum, und was es bedeutet, dass Schlingensiefs mythische „Parsifal“-Gerümpelhalde in ein und derselben Saison neben Philippe Arlauds „Tannhäuser“- Kunstrasen zu stehen kommt – das sagt keiner. Und genau das ist das Problem.

Wolfgang Wagner fährt eine gut funktionierende Marketing-Strategie (die Zahlen sind nach wie vor bombig); auch die Zukunft hat er gegen alle Widerstände durchgesetzt und bestellt: Mit tatkräftiger Hilfe des Münchner Gärtnerplatz-Intendanten Klaus Schultz wird Katharina früher oder später sicher auf dem Chefsessel landen; ein Konzept für die Festspiele hat der „Alte“ aber nicht. Es wird eingetütet, was für Furore sorgt – und Schluss. Der Rest ist Kontrolle, Kuratel. Und wenn’s am Ende nicht so herauskommt, wie die Festspielleitung sich das vorgestellt hat, dann geschieht es durchaus, dass Wolfgangs Gattin Gudrun (von der böse Zungen behaupten, sie habe das Heft längst an sich gerissen) sich halböffentlich über Schlingensiefs Arbeit das Maul zerreißt. Guter Stil ist das nicht.

Eigentlich brauchen die Bayreuther Festspiele aber auch gar kein Konzept. Die Welt fährt ja trotzdem hin. Und sei es, um sich genau darüber zu ärgern, sich enttäuschen zu lassen, die Suche nach dem Wagner-Glück (mal wieder) auf den nächsten Sommer zu verschieben. Den „Alten“ jedenfalls werden wir schmerzlich vermissen, wenn er in diesem Spiel des Meidens und Meinens die Fäden eines Tages nicht mehr in der Hand hält.

Christine Lemke-Matwey

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