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Kultur: Der italienische Moment

Rettet Claudia Cardinale den Berliner Sommer? Eine Retrospektive feiert die Diva im Freiluftkino

Wenn Claudia und Guido mit einer Luxuslimousine durch die nächtliche Stadt preschen, dann ist das schon sehr nett. Wenn Guido haucht: „Was bist du schön!“ und Claudia ihr offenstes Lächeln lächelt, dann nennt man das einen italienischen Moment im Leben. Wenn Guido auch noch Marcello Mastroianni ist, Claudia aber die Cardinale, dann handelt es sich um großes Kino. Dann hat Federico Fellini seine Traummaschine angeworfen.

Geträumt wird vom Alten Europa. Dieses Europa ist polyphon – in seinen alten Grenzen: Italienische, französische, englische und deutsche Stimmen wispern über die Leinwand. Es ist so zerstreut, heuchlerisch und müde wie Guido. Und gleichzeitig so arglos und jugendfrisch wie Claudia. Vor allem hat es Stil und Unbeschwertheit. Zudem lässt sich diesseits der Alpen in Fellinis „8 ½“ (1963) wunderbar von der Leichtigkeit des Seins träumen. Davon, dass das Leben anders sein könnte. Vielleicht ist genau das der Glutkern jeder deutschen Italien-Projektion: Das Leben könnte auch anders sein.

Wer die Hommage an Claudia Cardinale als Filmprogramm des diesjährigen italienischen Kulturfestivals entworfen hat, muss ein listenreicher Mensch sein. Diven und wunderbare Schauspielerinnen haben uns die Italiener in den Sechzigern zuhauf beschert: Sophia Loren, Anna Magnani, Giulietta Masina. Keine aber ist schöner als Claudia. Die Cardinale, die noch vor zwei Jahren in Berlin einen Goldenen Bären für ihr Lebenswerk erhielt, lockt mit unwiderstehlicher Gewalt ins Kino. Was aber sieht man dort?

Große Gefühle – ja doch. Die süditalienische Mama Pasta mit ihren fünf Söhnen – sicherlich. Eine Festtafel, die unter freiem Himmel mit Brot und Käse in irdenen Gefäßen gedeckt wird – auch das. Doch die Kehrseite ist immer mit im Bild. Nicht ohne Hintersinn heißt das Festival „Italien im Gegenlicht“. Als Ugo Perone zur Eröffnung den Titel spielerisch deutete, sprach er vom Dunkel, das zur Helligkeit gehöre und davon, dass Kontraste das Bild schärfen. Der Celan-Vers „Gib ihm Schatten“ laufe als Subtext mit. Wer mag mit „ihm“ gemeint sein? Perones Vertrag als Leiter des Italienischen Kulturinstituts in Berlin war Ende letzten Jahres nach einem Rechtsstreit mit der italienischen Regierung nicht verlängert worden. Dabei gab es an der fachlichen Kompetenz des Turiner Philosophie-Professors nie einen Zweifel. Auch durch seine auswärtige Kulturpolitik hat das Markenzeichen Italien in letzter Zeit an Glanz verloren.

„Italien im Gegenlicht“ inszeniert nun fast beiläufig auch die Schattenseiten des Mythos. Dazu braucht es nicht einmal Nanni Moretti mit seinem flehentlichen Appell: „Sag irgendwas Linkes!“ Nein, es geht auch dezent und mit historischem Material. Guido, der Starregisseur in Fellinis „8½“, ist ein Gescheiterter. Einer, dem Sinn und Notwendigkeit seiner Arbeit abhanden gekommen sind. An der mediterran anmutenden Tafel in frischer Luft werden gleich die Grillen aufhören zu zirpen. Dann fallen Schüsse und Finsterlinge in wehenden Mänteln treten aus dem Hinterhalt. Eine Mundharmonika spielt. Nur mit der wehrhaften und listenreichen Jill MacBain alias Claudia Cardinale zieht ein Moment zauberhafter „Italianità“ in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod" (1968) ein.

Wahrhaft italienisch wird es in Luchino Viscontis „Rocco und seine Brüder“ (1960). Vieles, was das deutsche Italien-Bild geprägt hat, ist hier versammelt: Die Autorität von Mama Rosaria ist ungebrochen. Schallende Ohrfeigen darf sie ihren erwachsenen Söhnen versetzen. Frauen, die eben noch gesäuselt haben „Ich liebe dich!“, brechen kurz darauf in hysterisches Geschrei aus und behaupten das Gegenteil. Gemordet wird melodramatisch und aus Leidenschaft. Dabei bleibt die Sehnsucht nach der „terra nostra“, dem Land im Süden „mit seinen Olivenbäumen und Regenbögen“, unstillbar. Denn Mailand, wohin es Rocco und seine Brüder verschlagen hat, kann im Winter verdammt diesig, feucht und kalt sein. Für die Jungs aus der Basilicata geht es erst einmal ans Schneeschippen. Das Leben im Norden ist ein Boxkampf oder Fließbandarbeit bei Alfa Romeo. Keine Spur von toskanischen Hügellandschaften. Was Viscontis sozialkritischer Neorealismus bietet, sind Zitronen unter Eis. Auch seine monumentale Verfilmung von Tomasi di Lampedusas „Der Leopard“ von 1963, (soeben erschien Giò Waeckerlin Indunis Neuübersetzung des Romans unter dem Titel „Der Gattopardo“ bei Piper) mit der die Cardinale-Hommage gestern begann, spricht eine deutliche Sprache. „Wir waren die Leoparden, Löwen“, sagt Don Fabrizio, „unseren Platz werden die kleinen Schakale einnehmen, die Hyänen.“

Dabei ahnten weder Tomasi noch Visconti, welche Eskapaden Forza Italia, Alleanza Nazionale und Lega Nord dem „Belpaese“ einst zumuten würden. Ganz zu schweigen von den unheldischen Portugal-Heimkehrern. „Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet!“ muss über den Stadiontoren von Guimarães gestanden haben. Die Italiener, scheint es, haben derzeit genug mit ihren eignen politischen und mentalen Depressionen zu tun.

Den dahindümpelnden Berliner Sommer werden sie also kaum retten. Doch für Lichtblicke ist Italien immer gut. Es gibt ja noch die Cardinale. In Werner Herzogs „Fitzcarraldo“ greift sie 1982 dem fanatischen Opernliebhaber Klaus Kinski als Bordellbesitzerin Molly unter die Arme. Dann bekennt sie siebzehn Jahre danach während eines Vier-Minuten-Auftritts in Herzogs Kinski-Dokumentation „Mein liebster Feind“: Ihr gegenüber sei der Egomane immer höflich, zuvorkommend und geradezu schüchtern gewesen. Sogar kleine Zettelchen habe er ihr geschrieben. Und in Blake Edwards turbulenter Komödie „The Pink Panther“ (1963) gab sie zwischen David Niven und Peter Sellers die diamantenschwere Prinzessin Dala – wen sonst?

Auf der Museumsinsel gibt es nun die siebenfache Cardinale. Und wenn das Wetter mitspielt, wird vielleicht noch alles gut. Dann gilt allabendlich Guidos Wort: „Wir sehen uns in einem nächsten Film.“

CLAUDIA CARDINALE

wird als Claude Josephine Rose am 15. April 1938 in Tunis geboren. 1957 wird sie bei einer Misswahl zur „schönsten Italienerin“ gekürt und mit Rollenangeboten überhäuft. Ihr erster Erfolg: „Diebe haben’s schwer“ (1958). Mit Alain Delon gibt sie das Traumpaar des europäischen Films. Nach dem Fellini-Film „8 ½“ (1963) entdeckt sie Hollywood. In den 80er und 90er Jahren spielt sie Fernsehrollen , auch für die ARD. Nach mehr als 100 Filmen: in Paris die erste Theaterrolle in „La Venezia“ (2000). C.C. lebt in Paris und Rom.

DIE RETROSPEKTIVE

Bis zum 5.7., jeweils 22 Uhr zeigt das Italienische Kulturfestival Filme mit Claudia Cardinale open air in den Kolonnaden vor der Alten Nationalgalerie , Bodestr. 1-3 (Mitte) auf der Museumsinsel.

DAS FESTIVAL

Die Filmreihe ist Teil des Kulturfestivals Italien im Gegenlicht . Schriftsteller, Historiker, Verleger und Politiker beschäftigen sich bis zum 5. Juli mit Geschichte, Politik, Mafia, Fußball und Liebe. Am 1. Juli liest die Skandal-Autorin Melissa P. aus ihrem erotischen Tagebuch „Mit geschlossenen Augen“ (20 Uhr).

DIE FILME

28.6.: „8½“; 29.6.: „Rocco und seine Brüder“, 1.7.: „Der rosarote Panther“, 3.7.: „Fitzcarraldo“, 4.7.: „Mein liebster Feind – Klaus Kinski“; 5.7.: „Spiel mir das Lied

vom Tod“

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