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Kultur: Der Jugend eine Herberge

Seit 25 Jahren spielt das Theater Strahl für Teenager. Jetzt soll es eine feste Spielstätte bekommen – in einer Turnhalle am Ostkreuz.

Es ist der Traum für jeden Theatermacher: das eigene Publikum gleich vor der Tür, in Hundertschaften, aus aller Herren Länder. Wolfgang Stüßel, der Leiter der Jugendbühne Theater Strahl, arbeitet gerade daran, ihn sich zu erfüllen. Er steht auf dem Gelände der Marktstraße 9 in Lichtenberg, an der Grenze zu Friedrichshain, nur einen Steinwurf vom Ostkreuz entfernt. „Die Idee, so viele Synergieeffekte zu erzielen, hat uns gleich begeistert“, sagt er. Vor ihm ragt ein roter Klinkerbau auf, das ehemalige Gebäude der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft. Hier plant das deutsche Jugendherbergswerk Berlin-Brandenburg (DJH) eine neue Bettenburg mit bis zu 450 Schlafplätzen.

Gegenüber aber, in einer denkmalgeschützten Doppelturnhalle mit Sportsälen auf zwei Etagen, wird, wenn alles gut geht, die neue Spielstätte des Theaters Strahl entstehen. Die Pläne sind längst fertig, Stüßel hat sie mitgebracht. Sie zeigen einen Glasvorbau mit Foyer und Fahrstuhl, Brücken zu den Nebengebäuden, die für Probe-, Workshop- und Lagerräume genutzt werden könnten, und die zwei Säle, in denen gespielt werden soll. Den unteren mit mobiler Bestuhlung für ungefähr 200 Zuschauer, den oberen mit noch mal 300 Plätzen. Noch hängen hier die Basketballkörbe über verschlissenem Parkett, die angrenzenden Umkleiden und Duschen sind verfallen, der ganze Komplex steht seit Oktober 2009 leer. Aber der Charme dieser lichtdurchfluteten Turnhallen ist unübersehbar, eine Spielwiese der Möglichkeiten. Sein Freund und Kollege Werner Schretzmeier, Leiter des international erfolgreichen Theaterhauses Stuttgart, habe ihm nach der ersten Ansicht geraten: „Setzt ein paar Stühle und Podeste rein und legt sofort los!“, erzählt Stüßel.

Das Theater Strahl macht seit 25 Jahren in Berlin Kunst für Menschen ab zwölf Jahren aufwärts. Im August, als das große Jubiläum gefeiert wurde, lobte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, hier werde das jugendliche Publikum „dort abgeholt, wo es sich hinbewegt“. Etwas knackiger brachte es Volker Ludwig vom Grips Theater auf den Punkt: „Was für den Stier die dicken Eier – In dunkler Nacht the light of fire – Ein helles Licht im Jammertal – Ist für die Teens Theater Strahl.“ Gerade erst ist die Bühne für ihre Produktion „Weißbrotmusik“ wieder mal mit dem begehrten Berliner Kinder- und Jugendtheaterpreis „Ikarus“ ausgezeichnet worden. Längst überfällig, dass diese Pioniere unter den Pubertätshelfern ihr eigenes Haus bekommen.

Seit 1994 ist die Hauptspielstätte der Strahl-Künstler das Kulturzentrum „Die weiße Rose“ in Schöneberg. Dort müssen sie sich die Bühne allerdings mit Kleinkunst und Konzerten aller Couleur teilen. Und bei flacher Bestuhlung sieht man ab der dritten Reihe nichts mehr. Entsprechend sind die Macher immer wieder auf andere Orte ausgewichen. In der Kyffhäuser Straße nahe des Winterfeldtplatzes existiert seit Langem eine Probebühne, in der für 100 Zuschauer gespielt werden kann. Manche Produktionen entstanden an gänzlich theaterfernen Orten. Wie das Stück „Unter Strom“, das im Club Maria am Ostbahnhof eine Geschichte über drogeninduzierte Psychosen erzählte.

Eine Zeit lang glaubten sich Stüßel und seine Mitstreiter auch im Admiralspalast heimisch, wo unter anderem ihr großer Hit „Klasse Klasse“ lief, ein überschießendes „Maskenbeatboxtheater“ von Regisseur Michael Vogel, Mitglied der Familie Flöz. Eine wilde, wortlose aber soundstarke Puppenshow über den Mikrokosmos Schule. Seit der Pleitepalast im letzten Jahr den Besitzer gewechselt hat, sind die Mieten allerdings um das dreifache gestiegen. „Das können wir als Jugendtheater nicht stemmen, selbst wenn wir wollten“, sagt Stüßel. Sein Theater wird mit 450 000 Euro im Jahr subventioniert und ist auf Einnahmen angewiesen.

Erfahrene Nomaden sind die Jugendarbeiter freilich seit Beginn. Gerade in den Anfangstagen haben der Schauspieler und Theaterpädagoge Wolfgang Stüßel, die heutige Co-Leiterin Gila Schmitt und der inzwischen ausgeschiedene Namensgeber Reiner Strahl zwischen Kreuzberg, Charlottenburg und Moabit kaum eine kleine Bühne ausgelassen – um im wahrsten Sinne Aufklärungsarbeit zu leisten.

Das erste Stück, „Dreck am Stecken“, nahm das Thema Aids in den Blick. Ein Freund der drei war HIV-positiv, es gab damals noch wenig Informationen über die Krankheit, dafür kursierten umso mehr Vorurteile. „Dreck am Stecken“ wurde im Kulturbahnhof Kato am Schlesischen Tor uraufgeführt. Und reiste danach quer durch die Bundesrepublik. Es bot die Möglichkeit, unverkrampft über Sexualität mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen, ein Kunststück für sich. Was auch den Folgestücken gelang. „Volltreffer“, eine Geschichte über ungewollte Schwangerschaft. Oder „Heißes Eisen“, das von gleichgeschlechtlicher Liebe handelte. Arbeiten, die Vorurteile abgebaut haben, nicht zuletzt gegenüber dem Jugendtheater als solchem. Es komme heute seltener vor, sagt Stüßel, dass für Tourneen angefragte Häuser mit der Begründung abwinkten: „Bitte keine Stücke für Teenager, da haben wir ja hinterher Kaugummis unter allen Sitzen kleben“.

Stüßel könnte sich gut vorstellen, das Theater Strahl noch internationaler auszurichten. Den Bedürfnissen von Gästen aus aller Welt entsprechend. Die Maskenbeatbox-Stücke „Klasse Klasse“ und der Nachfolger „Klasse Tour“ waren ein Anfang, Kunst ohne Sprachbarriere. Gerade wurde eine Kooperation mit der niederländischen Gruppe De Dansers aus Utrecht angebahnt, die Tanztheater für Jugendliche macht.

Auch für Festivals mit Weltblick, findet Wolfgang Stüßel, wäre das Areal an der Marktstraße mit seinen Bühnen und Arbeitsräumen ideal geeignet. Es war der vormalige Präsident des DJH, der SPD-Politiker Steffen Reiche, der Stüßel und Co überhaupt auf den Standort gebracht hat. Er verlieh dem Theater Strahl den „Antifaschistischen Medienpreis“, für das Stasi-Stück „Akte R“. Und richtete einen flammenden Appell an die versammelten Politiker, bitte nach einer Dauerspielstätte für Strahl zu suchen. Bis ihm einfiel, dass er selbst die beste Immobilie kennt.

Rund 3,5 Millionen würde der Umbau der Doppelturnhalle kosten. Die Anträge bei der Lottostiftung sind gestellt, 2014 könnte die Einweihung gefeiert werden. Wolfgang Stüßel steht unter dem Basketballkorb und lässt den Blick durch den Raum wandern. Eigentlich, sagt er, vermeide er den Begriff, aber hier müsse er doch sein. Das neue Theater Strahl, glaubt er, „könnte ein kleiner Leuchtturm für die Stadt werden“.

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