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Kultur: Der Kaputtmacher

Wer sagt eigentlich, dass Don Giovanni wirklich so erfolgreich bei Frauen ist? Dass er tatsächlich 1800 Damen rumgekriegt hat?

Wer sagt eigentlich, dass Don Giovanni wirklich so erfolgreich bei Frauen ist? Dass er tatsächlich 1800 Damen rumgekriegt hat? Sein Diener Leporello behauptet es in der Registerarie. Dann aber erleben wir einen Titelhelden, der vergeblich um sexuelle Befriedigung ringt. Jedenfalls im Libretto. In Hannover klatscht Giovanni erst einmal ein Kondom auf den Bühnenboden, noch bevor er den ersten Ton singt. Donna Anna, eine Karrierefrau, die ihre biologische Uhr schon ziemlich laut ticken hört, hat es sich von ihm auf der Rückbank ihres Wagens besorgen lassen. Und sie will mehr. Genauso wie Donna Elvira, die musiktheatralische Geistesschwester von Bridget Jones, die immer wieder angekrochen kommt. Genauso wie Zerlina, die eigentlich ihre Wirkung auf Männer kennt und doch dem Don begierig an den Lippen hängt.

Calixto Bieito, der neue Regiestar aus Katalonien, zeigt Don Giovanni als Fixstern im Universum einer Spaßgesellschaft, um den alle Personen der Mozart-Oper wie Trabanten kreisen. Der Spanier hat in seiner Heimat Männer erlebt, die jenes "Charisma der Verführung" verströmen, dem Frauen wie Männer verfallen müssen. In Hannover hebt er mit der Übertragung der Geschichte ins Heute auch die sozialen Hierarchien auf, die eigentlich für das Funktionieren der Geschichte notwendig sind. Leporello dient bei Bieito Giovanni nicht, weil er dafür bezahlt wird, sondern weil er - der Schwächling im Jogginganzug - im Bann des Don lebt. Auch Masetto überlässt ihm seine Braut Zerlina keineswegs, weil er sich als Bauer der Willkür des Adligen beugen muss, sondern einfach, weil er der Aura dieses Mannes nichts entgegenzusetzen hat.

Alle, die er sich untertan macht, demütigt dieser Giovanni, körperlich und physisch. Bieito nennt ihn einen "Hedonisten der Zerstörung", der als Suchender durch eine sinnentleerte Gesellschaft irrt und alles kaputt macht - "aus dem Wunsch heraus, etwas Neues zu kreieren". Dabei wird er am Ende selber zum Opfer: Nicht die göttliche Macht schickt ihn wie üblich auf Höllenfahrt - es sind die Erniedrigten und Beleidigten selber, die ihn wie in einem üblen Splatter-Movie bestialisch hinrichten: Während die Musik jubelt "Dem Sünder wird Vergeltung, wenn die letzte Stunde naht", darf jeder mit dem Küchenmesser noch einmal zustoßen.

Was Calixto Bieito auf die Bühne der Niedersächsischen Staatsoper wuchtet, ist faszinierendes, packendes, lebenspralles Musiktheater. Bei den Proben muss der Regisseur eine ähnliche Überzeugungskraft gehabt haben wie sein Bühnenheld - alle Sänger bis zum letzten Choristen geben sich rückhaltlos dem entfesselten Liebes-Spiel hin. Wie Christiane Ivens Donna Elvira verzweifelt um Zärtlichkeit ringt, wie Francesca Scaini mit jeder Faser ihres Körpers als Donna Anna wütet, wie Sunhae Im (Zerlina) und Xiaoliang Li (Masetto) den Kreuzweg ihrer im Keim erstickten Ehe abschreiten, wie Oliver Zwargs Leporello immer wieder die Hosen fallen lässt, käsige Beine und seinen Grabbeltisch-Slip vorzeigt, das hat Seltenheitswert auch im zeitgemäßen Musiktheater. Und doch stößt dieser erregende Abend schnell an seine Grenzen: Das Konzept funktioniert auf dem Papier und gäbe zweifellos auch einen hochklassigen Film her, sagen wir, mit John Malkovich in der Titelrolle.

Doch auf der Bühne fehlt die Möglichkeit, dem Verführer ins Gesicht zu blicken. Die räumliche Distanz ist einfach zu groß, um die Spannung knistern zu hören. Garry Magee ist ein toller, ein tollkühner Giovanni. Doch sein Sex-Appeal bleibt - aus der 10. Reihe betrachtet - der eines charmanten Schlawiners. Hier wollte Bieito mehr, als die Oper zu geben vermag - und traute sich doch nicht, der Oper zu nehmen, was er gebraucht hätte: Weil er die Geschichte auf den emotionalen Machtkampf zwischen Gleichaltrigen fokussiert, hätte er den gesamten Handlungsstrang um Donna Annas Vater, der hier die Tochter gegen ihren Willen vor Giovanni schützen will, ums Leben kommt und sich als Zombie zu rächen versucht, streichen müssen. Das letzte Tabu des Musiktheaters zu brechen und um der Stringenz der szenischen Interpretation willen einige der effektvollsten Passagen aus der Partitur herauszuschneiden, das wagte Bieito dann doch nicht.

Wahrscheinlich wäre es vielen im Saal gar nicht aufgefallen - denn die Musik spielt in diesem "Don Giovanni" nur die zweite Geige: Dirigent David Parry agiert im Graben blass und unscheinbar. Kein Wunder, dass die optischen Reize alle Arien überwuchern, dass sich in den Ensembles der Zauber des Zusammenklangs nicht einstellen will.

Wer Lust hat, sich auf Calixto Bieitos feurigen Zugriff einzulassen, dem bleibt nichts anderes übrig, als es so zu machen wie die Hannoveraner bei der Einrichtung der deutschen Übertitel: Was nicht ins Konzept passt, wird einfach ausgeblendet.

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