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Kultur: Der kleinste Kellner der Welt

WETTBEWERB Jiri Menzel hat Bohumil Hrabals wunderbaren Roman „Ich habe den englischen König bedient“ verfilmt

Literaturverfilmungen sind vielleicht das Schwerste. Oder das Zweitschwerste. Und wenn dann noch ein Off-Erzähler erzählt wie im Buch, bloß eben jetzt mit Bildern – ja, dann braucht es wohl einen ganz besonderen Regisseur. Und selbst bei Einsatz all seiner Besonderheit ist nicht ausgemacht, dass er gewinnt.

Verblüffend, wie Jiri Menzel die nicht gerade farblosen Situationen seines Lieblingsautors Bohumil Hrabal in die eigenen Bilder überträgt. Mit welcher kongenialen Zweit-Originalität. Film setzt die Pointen anders als Sprache – Menzel findet sie, und wenn es eine halbe Armdrehung des neuen Piccolo-Kellners im Hotel „Goldenes Prag“ ist, ein Kopfrucken im entscheidenden Augenblick oder ein viertel Augenaufschlag. Manche Dinge kann man nicht beschreiben, die muss man einfach sehen. Das ist der Vorteil des Kinos. Mag sein, Hrabal wäre neidisch geworden. Schade, dass dieser Jahrhundertautor, der 1997 nur scheinbar zufällig aus dem Fenster eines Prager Krankenhauses stürzte, seinen Wunderkellner Jan Dite nicht mehr auf der Leinwand sehen kann. Er hätte ihn wiedererkannt.

Jiri Menzel hat seinen kleinsten Kellner der Welt, der beseelt ist vom Ehrgeiz der größten, in Bulgarien gefunden. Der junge Ivan Barnev, der Hrabals Roman auf Russisch lesen musste, weil er noch nicht auf Bulgarisch erschienen ist, besitzt jene äußerste Dienstfertigkeit und Beflissenheit des Ausdrucks, die sich von Hochmut nicht mehr unterscheiden lässt. Die Abenteuer des Hochstaplers Felix Krull auf Tschechisch, die Dienstbotengeschichte par excellence. Vom Tellerwäscher – durch die Zeit der deutschen Besatzung – zum Millionär. Nur dass Felix Krull vor allem schön ist, Jan Dite aber ist eben der immer noch Kleinere des Lebens – vielleicht kann das so nur einem Tschechen einfallen. Bloß das Dorf, aus dem er kommt, ist vielleicht noch kleiner. Ein wirklich guter Kellner muss vor allem zwei Dinge können: alles hören und sehen und nichts hören und sehen. Der Piccolo des Hotels „Goldenes Prag“ vereinigt beide Tugenden im höchsten Maße. Und da, was er (nicht) hört und (nicht) sieht, von morgens bis abends sehr wohlhabende Leute sind, weiß er früh, worauf im Leben alles ankommt. Auf sehr viel Geld. Einsichten dieser Art stehen unnachahmlich in Ivan Barnevs Blicken.

Wie gut, dass Menzel dieses Leben anders gerahmt hat als Hrabal. In der ersten Szene sehen wir den ziemlich angejahrten Jan Dite (mit der Melancholie der alten Kellner: Oldrich Kaiser) vor die Gefängnistore treten und ins Licht der Freiheit blinzeln. Zu 15 Jahren ist er verurteilt worden, aber aufgrund einer großen Amnestie brauchte er nur 14 Jahre und neun Monate absitzen. Der Menzel-Hrabal-Ton. Ganz am Schluss werden wir wissen, warum. Als die Kommunisten im Namen des Volkes den Millionärskellner seines Hotels enteignen, das schon nicht mehr gut läuft, weil es plötzlich erstaunlich wenige Millionäre gibt in der jungen Volksrepublik, erfahren sie auch, dass Dite 15 Millionen besitzt. Und so geben sie ihm für jede Million ein Jahr. Bloß: Woher hatte er die 15 Millionen?

Dieter Kosslick hatte für diesen Berlinale-Jahrgang das kulinarische Kino ausgerufen. Kein anderer Film des Wettbewerbs ist so überzeugend kulinarisch wie dieser. Unser Blick auf die Welt wird gastronomisch, ob es Mädchen, Hummer sind oder Pralinen. Eine der lohnenswertesten Welt-Anschauungen. Beim Anblick der Tafeln versteht man auch die Finanzierungsschwierigkeiten von „Obsluhoval jsem anglického krále“, und ebenso, dass hier keine einzige Auster wegzulassen war. Schon wegen der Präzision.

In diese Welt des guten Geschmacks bricht das Jahr 1938 ein und die folgenden, mitsamt Adolf Hitler und Julia Jentsch als Lisa aus Eger, dortselbst Lehrerin für Leibesübungen und bald die große Liebe des angehenden Kollaborateurs Jan. Und hier beginnt Menzels so artistischer Film illustrativ und zu grobkörnig zu werden. Natürlich, die „tschechische Soldateska“ (Lisa) besteht nicht zuletzt aus der Kellnerschaft des glanzvollen Prager „Hotels Paris“, denn es gehört zur elementarsten Ehre eines tschechischen Kellners, kein Deutsch zu verstehen. Und Jan Dite will die kleine Deutsche tatsächlich bedienen – unverzeihlich. Er wird gefeuert. Selbst in den Augen des Oberkellners (Martin Huba ist der ultimative Frackträger, selbst seine Blicke sind befrackt, grandios!), der den englischen König bedient hat, zählt nicht mehr, dass sein Vize Jan den abbessinischen König bedient hat.

Für einen Roman ist ein ganzer Lebensbogen kein Problem. Menzel aber muss verdichten. So verlieren die Dinge ihre Beiläufigkeit. Die Hakenkreuze schon über der ersten Begegnung des tschechischen Kellners mit dem deutschen Mädchen in Prag nehmen ihr die Leichtigkeit. Dabei ist es Wahlverwandtschaft: zum ersten Mal eine Frau, die so klein ist wie er und genauso viele Sommersprossen hat.

Der Mensch, wissen die Tschechen, ist grundsätzlich zu klein für sein Leben. Sogar ein Kellner. Ein Kollaborateur. Doch ein ganzer Hrabal-Roman ist wohl zu groß für einen einzigen Film, wenigstens dieser. Obwohl Menzel immer wieder das Ungeheure, das Schwerste in der Sprache des Leichten sagen kann.

Heute 9.30 Uhr und 23.30 Uhr (Urania) sowie 20 Uhr (International)

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