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Kultur: Der kleinste Staat

Zarte Subversion: Herbert Grönemeyer begeistert in der Berliner Waldbühne

Bequem hat er es sich selbst und anderen nie gemacht. Und auch diesmal strapaziert Herbert Grönemeyer die Nerven der Leute erst einmal gewaltig. Er hat einen DJ mit auf seine Tournee genommen, und der legt, bevor der Sänger zweieinhalb Stunden lang das Publikum in der Berliner Waldbühne auf seine Seite zieht, immer unbequemere Songs auf. Nach und nach mogelt er auch Punkrock zwischen die House-Tracks, bis die Leute schließlich zu protestieren beginnen. Bei den White Stripes nicken sie noch, als dann aber Abwärts mit dem „Computerstaat“ abrechnen und „Stalingrad, Stalingrad, Deutschland Katastrophenstaat“ singen, haben die meisten genug. „Was ist denn das überhaupt für eine Musik?“, ruft ein Frau empört, „das ist ja widerlich!“

Grönemeyer wird sie später alle für diese dornige Strecke versöhnen. Denn das kann er – alles wieder gut machen, nachdem erst einmal die Hölle los war. Mit einer Show, die nichts auslässt vom Deutschrock der frühen Jahre bis hin zu den intelligenten, kantigen Tönen von heute. Nur sein „Sprünge“-Album aus der Mitte der Achtzigerjahre kommt ein wenig zu kurz. Er hätte etwa „Kinder an die Macht“ spielen können und damit die vielen Söhne und Töchter beglückt, die mit ihren Eltern kamen.

Aber Grönemeyer sieht sich, seine Musik und vor allem seine Welt inzwischen anders, weniger verspielt. „Ich mag dieses Land“, ruft er bei „Neuland“ seinem Publikum zu, „ich mag diese Menschen – aber ich mag nicht den Staat!“ Und selbst diejenigen, die den nicht minder unversöhnlichen Musikern von Abwärts nichts abgewinnen konnten, jubeln nun. Grönemeyer streut Subversion unter die Leute, wohldosiert zwar, aber doch unüberhörbar.

Der Mann ist ein Solitär in der deutschen Rockmusik, und das weiß er auch. Anders als viele Kollegen, die mit ihm vor 20 Jahren mit der „Raupe“ und anderen alternativ-ökologischen Gruppenkonzerten durch das Land zogen, hat sich Grönemeyer nicht vereinnahmen oder gar mit dem Bundeskanzler fotografieren lassen. Mit Nachdruck besteht er auf dem Menschen als Maß aller Dinge, ihm ist das Private politisch genug und der kleinste Staat ein Paar, das sich liebt.

„Bleibt Mensch!“, ruft Grönemeyer dem Publikum denn auch jedesmal zu, wenn er die Bühne verlässt. Vier Mal kehrt er zurück, um Zugaben zu spielen. Das tut er nicht nur, um seinen Fans einen Gefallen zu tun. Er selbst kostet es spürbar aus, diese grandiose Kulisse: das steil in den Hang gebaute Halbrund, die Baumwipfel, der nachtblaue Himmel und die Gesichter, diese Abertausenden strahlenden Gesichter. Als Grönemeyer dann „Der Weg“ anstimmt, den intimen Nachruf auf seine verstorbene Frau, der sich so gar nicht eignet für einen Stadionauftritt, legt sich gespannte Ruhe über die Waldbühne. „Ich gehe nicht weg“, singt Grönemeyer, warmer Beifall brandet auf, versiegt aber gleich wieder, bei den letzten Takten des Liedes ist es still. Danach tritt Grönemeyer an die Rampe, die ein paar Meter ins Publikum hineingebaut ist, und stellt sich dem lang anhaltenden Applaus. Der klingt anders als zuvor, inniger, fürsorglicher, liebevoller. Er zeigt ein heimliches Einverständnis zwischen dem verwundeten Star und seinen Anhängern.

Das Titelstück von Grönemeyers jüngstem Album erklingt zwei Mal: Für „Mensch“ hat Grönemeyer seine bislang vielleicht ergreifendsten Zeilen gefunden. Lebensklug, ohne Vorwurf, ohne Bitterkeit. „Ist schon okay, es tut gleichmäßig weh“, singt er. Wann ist der Mensch ein Mensch? Wenn er ein dickfelliger Eisbär ist wie der, den Grönemeyer am Bühnenrand als gigantischen Luftballon aufsteigen lässt? Die müssen nie weinen, hatte Stephan Eicher im Vorprogramm gesungen. Was wissen wir schon von Eisbären. Was wir aber über uns Menschen wissen können, das erzählt uns Grönemeyer.

Noch einmal heute, Waldbühne, 18 Uhr. Das Konzert íst ausverkauft.

Tobias Rüther

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