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Kultur: Der Klerus trägt Strapse

Geiler Geck und grauer Greis: die „Casanova“-Revue im Berliner Friedrichstadtpalast

Um es gleich zu sagen: Diesmal hat er kein Grußwort geschrieben. Zwar ließ sich Berlins pflichtbewusst Regierender Klaus Wowereit die Premiere der neuen „Casanova“-Revue des Friedrichstadtpalasts nicht entgehen, doch die Beschwörungsformeln von „Lebensfreude pur“ und der „toleranten, weltoffenen Metropole“ ließ er stecken. Vielleicht, weil gerade wieder das Damoklesschwert einer erneuten Subventionskürzung über dem Vergnügungstempel schwebt und die Politik sich da besser in Schweigen hüllt. Vielleicht auch nur, um den Berliner Politikern von Frank Steffel und Christoph Stölzl bis zu Thomas Flierl einen netten Abend ohne schlechtes Gewissen zu schenken. Denn natürlich ist die Botschaft sexueller Hemmungslosigkeit und schamloser Promiskuität, die in dieser Produktion lautstark und beinreich öffentlich und steuerfinanziert verkündet wird, nicht gerade parteiprogrammtauglich.

„Sex ist das, was jeder braucht!“, verkündet eine schwarzgewandete Megäre, die als Verkörperung der Zeit und finsteres Memento Mori den Frauenhelden durch seine Lebens- und Bettstationen begleitet. „Nimm dir, was du brauchst – hier wird alles akzeptiert“, raunt es von purpurroten Lippen, und irgendwann werfen sogar Priester und Nonnen zum „Agnus Dei“ die strapsbewehrten Beine, während der Papst höchstselbst die greisen Hüften schwenkt. Ohne dass sich irgendjemand im Publikum über die offizielle Duldung der Blasphemie aufregt – was ja angesichts der Proteste, die vergleichbare Freizügigkeiten in der Oper (Neuenfels, Bieito) auslösen, immerhin eine Option gewesen wäre.

Casanova also. Eigentlich ein ideales Thema, das die neuen Intendanten des Hauses, Guido Herrmann und Thomas Münstermann, für ihre erste eigenverantwortliche Revue gewählt haben. Erstens, weil der Held selbst in seinen überaus unterhaltsamen Memoiren mehr als genug Stoff geliefert hat. Zweitens, weil nun mal kein Thema so viel Variationen besitzt und soviel Spannung durch bloße Andeutung schafft wie die zwischenmenschliche Kontaktfreudigkeit. Und drittens schließlich, weil die Ära Casanovas, das 18. Jahrhundert, reichlich optisches und musikalisches Grundmaterial bereitstellt. Das Ausstattungsteam Fred Berndt (Bühne) und Uta Loher (Kostüme) wühlt denn auch kräftig im Fundus der Geschichte. Die Massenszenen des venezianischen Karnevals, der Ritterschlag Casanovas im Petersdom bieten genau die Effekte, die eine solche Revue braucht. Und der legendäre Tausendfüßler, die große Girlreihe, bekommt sogar eine augenzwinkernde Wendung, wenn die weißbestrumpften Beine plötzlich aus bunten Reifröcken hervorlugen.

Doch leider lassen sich die erfrischenden, gelungenen Szenen dieses Abends an einer Hand abzählen. Vieles ist nicht nur Revue, sondern Déjà-vu. Vor allem, weil die Autoren Jürgen Nass und Roland Welke nicht einfach eine flotte Geschichte erzählen wollen, sondern ihren Stoff heillos verkomplizieren: Ein junges Mädchen rauscht zu Beginn mit Casanovas Memoiren im Gepäck per Pappmaché-ICE in Bella Venezia ein, geht aber dort verloren und enttäuscht alle Erwartungen an eine sinnstiftende Rahmenhandlung. Auch die Idee, den Helden in zweifacher Gestalt, als geilen Geck und als grauen Greis, auf die Bühne zu schicken, stiftet Verwirrung. Eine erotische Ausstrahlung, die das Szenenkonglomerat zusammenhalten könnte, hat keiner von beiden, weder der gezierte Jungspund Oleksandr Khmelnytskyy noch sein Alter Ego Adrian Berg. Der junge Bariton Hagen Matzeit, als Papst und Kastrat mit Brust- und Kopfregister dabei, hat jedenfalls keine Probleme, gleich zwei Casanovas an die Wand zu spielen.

Ohnehin ist der Abend in erotischer Hinsicht lahm. Dass der Grundton nach der Pause von sportlicher Rammelei á trois und a tergo zusehends in vergrübelte Bedeutungsschwere wechselt, macht die Sache nicht besser. Der im Allerweltsmusical-Ton gejammerte Altersfrust des Lebemanns lässt kalt – das (an sich gute) Beiprogramm von der Flamenco-Truppe bis zur Drahtseil-Artistik lässt vollends den Bezug zum Thema vermissen.

Leider auch musikalisch: Der Berliner Komponist Niclas Ramdohr, der sich an der Neuköllner Oper den Ruf eines Experimentierers erworben hat, scheut sich, auf das reiche Musik-Arsenal des 18. Jahrhunderts zurückzugreifen und Bach, Vivaldi und Mozart für Revuezwecke zu verwursten. Unentschlossen schlingert der Abend zwischen fettem Lloyd-WebberSound, vereinzelt verulkten Barockklängen und konfektioniertem Neoklassizismus im Fünfziger-Jahre-Stil. Vielleicht machen sie als nächstes ja De Sade. Aber mit Grußwort.

Täglich außer montags

Jörg Königsdorf

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