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Kultur: Der konservative Bohémien

Von der Höflichkeit des Erzählers: eine Ausstellung über Joseph Breitbach in Marbach

Joseph Breitbach zählt nicht zu den bekannten deutschsprachigen Autoren des letzten Jahrhunderts. Zwar eroberte sein Roman „Bericht über Bruno“ 1962 die Bestsellerlisten, und in Rheinland-Pfalz trägt ein gut dotierter Literaturpreis den Namen des am 20. September 1903 in Koblenz geborenen Schriftstellers, aber sein Werk ist heute allenfalls Liebhabern ein Begriff. Damit sich hier etwas ändern möge, hat das Schiller-Nationalmuseum in Marbach den hundertsten Geburtstag des 1980 verstorbenen Autors zum Anlass für eine Ausstellung genommen, die sich auf den umfangreichen Nachlass Breitbachs stützen kann, der sich seit 1987 im Marbacher Literaturarchiv befindet.

Die von Jochen Meyer betreute Ausstellung mit dem Titel „Die Höflichkeit des Erzählers“ setzt drei Schwerpunkte: Sie stellt Breitbach als kulturellen Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich vor, dokumentiert seine Entwicklung vom 17-jährigen KPD-Mitglied zum konservativen Antikommunisten und widmet sich seiner Poetik, die gegen die „Flegelhaftigkeiten“ der Avantgarde das traditionelle Erzählen rehabilitieren will.

Man merkt beim Rundgang durch die Ausstellung schnell, dass die KPD-Mitgliedschaft eine jener Jugendsünden war, die sich die Söhne aus gutbürgerlichen Elternhäusern in den zwanziger Jahren leisten konnten: Links sein war chic damals. Auf den zahlreichen Fotos, die in Marbach zu sehen sind, wirkt Breitbach jedenfalls nicht wie ein klassenbewusster Proletarier, sondern posiert als immer perfekt gekleideter Dandy mit getönter Brille und Spazierstöckchen, der selbst auf dem Rücken eines Pferdes eine tadellose Figur macht. Wenn er in einem Brief aus Berlin vom Februar 1929 an eine Freundin schreibt: „Im übrigen studiere sich sehr fleißig das Proletariat, das hier sehr witzig und geweckt ist“, so sind damit wohl weniger soziologische als vielmehr erotische Studien gemeint. Wie für die Großbürgersöhne Klaus Mann, Stephen Spender, W.H. Auden oder Christopher Isherwood bot das Berlin der zwanziger Jahre durch sein reiches Angebot an proletarischen jungen Männern auch für Breitbach genügend Möglichkeiten, seinen homosexuellen Neigungen nachzugehen.

Die Marbacher Ausstellung ist in diesem Punkt freilich äußerst diskret und hält sich an die Maxime: Man tut es, aber man spricht nicht darüber. Erst als sie Breitbachs Aufenthalt in Paris ins Visier nimmt, wird sie etwas deutlicher. In der französischen Metropole, wo der Autor seit 1931 seinen festen Wohnsitz hat, knüpft er nämlich alsbald Kontakte zur schwulen und lesbischen Schriftstellerprominenz, wie die ihm von den Kollegen André Gide, Julien Green, Jean Genet und Marguerite Yourcenar gewidmeten Erstausgaben ihrer Bücher belegen. Die Sorglosigkeit des Bohèmelebens in der Hauptstadt oder auf den Landsitzen im Elsass, in der Normandie oder an der Côte d’Azur endete allerdings mit der deutschen Besetzung Frankreichs. Die Ausstellung zeigt den falschen Pass von 1941, mit dessen Hilfe Breitbach das Besatzungsregime überlebte und für die Résistance nachrichtendienstliche Aufgaben übernahm. Nach dem Krieg wurde er dann zur grauen Eminenz der deutsch-französischen Verständigung und knüpfte in seiner Pariser Wohnung an der Place du Panthéon diskrete Kontakte zwischen den Diplomaten und Politikern, Wissenschaftlern und Künstlern der ehemaligen Kriegsgegner.

Der Grandseigneur, der da im fünften Pariser Arrondissement Hof hielt, war natürlich längst kein KPD-Sympathisant mehr, sondern zum erklärten Konservativen geworden, der den diskreten Charme der Bourgeoisie verteidigte. Er stand im Briefwechsel mit Ernst Jünger und Golo Mann und schrieb mit der 1970 in Baden-Baden uraufgeführten Komödie „Genosse Veygond“ eine Satire auf die Salonmarxisten von 1968. Konservativ war auch die Poetik, an der Breitbach im Widerstand gegen den experimentellen Zeitgeist festhielt. „Was mich betrifft, ich will zum ,richtigen‘ Erzählen zurück“, schrieb der Autor an Käte Hamburger. Und dem jungen Kollegen Günter Herburger gab er den Rat: „Man kann das Chaos nicht in chaotischen Formen evozieren.“ Breitbach plädierte für eine Erzählweise, die sich dem Leser gegenüber um „Höflichkeit bemüht“.

So liebevoll die Marbacher Schau zusammengestellt ist, so ärgerlich ist ihre Präsentation. Statt die in den Vitrinen gezeigten Dokumente an Ort und Stelle durch einen Begleittext zu erklären, wie das im Schiller-Nationalmuseum bisher üblich war, bekommt der Besucher ein Faltblatt in die Hand gedrückt und muss mit dessen Hilfe mühsam den einzelnen Ausstellungsstücken die richtige Erläuterung zuordnen. Auch dem Katalog hat man ein neues Layout verpasst, das sich unvorteilhaft von dem seiner Vorgänger unterscheidet und eher Augenschmerzen verursacht, als zur Lektüre ermuntert. Der neue Schrifttyp ist viel zu klein, und der blasse Braunton, in dem die Zitate wiedergegeben werden, hebt sich kaum ab von dem hellen Papier. Bisher war der langjährige Ausstellungsleiter Friedrich Pfäfflin, der 2001 pensioniert wurde, für die Ausstattung der „Marbacher Magazine“ verantwortlich und hat sie zu begehrten Sammlerstücken werden lassen. Die neue Leitung des Hauses unter Heike Gfrereis möchte offenbar einiges anders machen, aber sie verwechselt ein neues Design mit inhaltlicher Erneuerung.

Die Ausstellung ist bis zum 28. September geöffnet. Das zugehörige „Marbacher Magazin 102/2003“ hat 110 Seiten und kostet 9 Euro.

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