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Wladimir Putin während einer Rede auf der Sitzung des Vorstands des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB). Foto: Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

© dpa/Gavriil Grigorov

Der Kreml als Leinwand: Was die Friedensrufer eint und treibt

Von links bis rechts wird manches in Putins Machtgebaren hineingelesen

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Auf den heutigen Kreml projizieren Leute aus dem rechten wie aus dem linken Spektrum ihre Fantasien. So seltsam die politische Schnittmenge zwischen den Hunderttausenden der Anhängerschaft von Sahra Wagenknecht und jenen der AfD wirkt, die ebenfalls fordert, der Ukraine die Rüstung zur Selbstverteidigung zu verweigern, so unterschiedlich sind die auf die Kreml-Leinwand geworfene Filme. Beide haben mit der Realität und mit einem Wunsch nach Frieden weniger zu tun, als mit der Sehnsucht nach dem starken, eigenen Kinoerlebnis. Beides sind Schwarz-Weiß-Filme.

Durch den linken Film braust noch das Pathos der Utopie einer Sowjetunion, die eine neue, gerechtere Gesellschaft schaffen wollte, und einer Roten Armee, die im Zweiten Weltkrieg unter enormen Verlusten den Faschismus bekämpft hat. Der rechte Film blendet diese Geschichte aus und hält sich dichter an die Gegenwart, wo sich ein starker Staatsmann ohne Skrupel mit Waffengewalt Respekt verschafft, ein Herrscher, der das Palaver der Demokratie verabscheut und dem „verschwulten Westen“ zeigt, was eine völkische Harke ist.  

Die Linke leugnet die Gegenwart, die Rechte freut sich an ihr. Das linke Manifest impliziert: Es darf doch nicht wahr sein, dass auf dem Gebiet dieses großen, sozialistischen Experiments heute eine inhumane Diktatur der Kleptokraten an der Macht ist. Der linke Schwarz-Weiß-Film beweist: Am Kriege ist die NATO schuld, der imperialistische Westen. Das rechte Drehbuch sieht die funkelnde Großmacht als Blaupause - oder eher als Schwarzpause, für die eigenen Ambitionen. So einen starken Mann können wir als Führer gebrauchen, ihm ordnen wir uns zu, da macht einer Geländegewinne, wovon auch wir träumen. Da ist ein Mann noch ein Mann. Am Kriege ist die NATO schuld, der dekadente Westen. Und hier, wir sehen, bietet sich das Material für die Schnittmenge.

Beide Filme kommen nicht aus dem Irgendwo, beide weisen Residuen des Kalten Krieges auf, als die politischen Milieus je ihre Lieblingsautokratien besaßen. Rechts hatte man lange wenig Einwände etwa gegen Pinochets Folterknechte in Chile, links wollte lange man wenig wissen von sowjetischen Gulags. Mit der Perestroika schien Demokratie sich in Russland durchzusetzen, der Heiße Krieg blieb aus, die Stunde des Business war da.

Demokratien blendeten allerdings nicht nur Russlands Regression ins Autoritäre aus, sondern auch die Existenz von Autokratien im „Globalen Süden“. Durch die postkoloniale Brille erblickte man Opfer, die zu sich und ihren authentischen Traditionen zurückfinden wollten. Jetzt erst, aufgeweckt durch Putins Angriffskrieg, der allerhand neutrale Abstinenz aus dem Süden erfährt, beginnt die präkoloniale Illusion des Authentischen zu schwinden.

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