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Kultur: Der Krieg ist keine Guillotine

Warum Saddam? Über Risiken und Folgen eines US-Militärschlags gegen den Irak

Von Herfried Münkler

Das Gebiet, das sich vom östlichen Mittelmeer bis zum Hindukusch erstreckt, zählt zu den gefährlichsten Regionen der Erde. Zu kompliziert und unbeherrschbar sind hier die zahllosen Konflikte, von der Intifada im Westjordanland über die immer wieder aufflackernden Kämpfe in Afghanistan, vom Tschetschenienkrieg im Norden bis zur unsicheren Zukunft des saudischen Herrscherhauses auf der arabischen Halbinsel. Dass in dieser Region die weltgrößten Erdölreserven liegen, macht die Region überdies für Industrienationen interessant, deren Einflussnahme das fragile Gleichgewicht zusätzlich belastet. Vor allem aber trägt zur Instabilität bei, dass es sich um eine Region mit blockierten Entwicklungsperspektiven handelt: Für die Jugendlichen sieht die Zukunft düster aus, und selbst in Kreisen der oberen Mittelschicht, vor allem der technischen Intelligenz, wächst die Unzufriedenheit in dem Maße, wie sich die politischen Verhältnisse als unveränderbar erweisen. In diesem Klima gewinnen Verschwörungstheorien an Popularität, die äußere Feinde dafür verantwortlich machen, dass der arabische Raum weltpolitisch nicht die Rolle spielt, die ihm aufgrund seines Reichtums, seiner kulturellen Traditionen und schließlich seiner strategischen Lage zwischen Europa, Afrika und Asien zukommen müsste.

Die Marionetten-Rolle

Das Problem des Westens ist, dass er über keinen zuverlässigen und stabilen Verbündeten in der Region verfügt. Saudi-Arabien muss sich seine innere Ruhe durch die Finanzierung fremder Konfliktherde erkaufen. Ägypten und die Türkei sind zu randständig und obendrein durch innere Konflikte sowie eine desolate Wirtschaftslage paralysiert. Bis zur islamischen Revolution vor bald einem Vierteljahrhundert hatte der Iran die Rolle eines regionalen Stabilitätsfaktors inne. Doch die USA favorisierten vom Ayatollah-Regime verschreckt dessen irakischen Gegner. Leider war Saddam Hussein nicht bereit, die Marionetten-Rolle zu übernehmen, beziehungsweise hat er sie missverstanden. Die Folge waren der erste und der zweite Golfkrieg.

Dabei hätte der Irak geostrategisch wie politisch-kulturell die besten Voraussetzungen für die Rolle des Stabilitätsgaranten: besetzt er doch nicht nur das Zentrum der Krisenregion, er verfügt auch über eine säkulare Politiktradition, die ihn für islamistische Versuchungen weniger anfällig macht. Dass das Land trotz dieser Vorzüge seinen eigensinnigen Crash-Kurs fortsetzt, dürfte die US-Politiker in viel höherem Maße aufregen als die Furcht vor Saddams Massenvernichtungswaffen, vor denen Washington warnt. Aber ist das Grund genug, einen Präventivkrieg zu führen? Was hätte dies völkerrechtlich und weltpolitisch für Folgen?

Das durch Begriffe wie Diktator, Terrororganisationen und Massenvernichtungswaffen gebildete offizielle Argumentationsdreieck der Amerikaner benennt das Problem nur zum Teil. Richtet es sich doch an das Konfliktverständnis westlicher Demokratien, die militärische Risiken scheuen und sich an Verhandlungslösungen orientieren. Unerwähnt bleibt daher das Problem der regionalen Instabilität, deren man durch die Schaffung eines Irak ohne Saddam Hussein Herr werden möchte. Es sind die Stabilitätsdefizite der gesamten Region, die in den amerikanischen Überlegungen an Gewicht gewinnen. Schon jetzt ist bei Cheney und Rumsfeld von einer Rückkehr der Waffeninspektoren auch nicht mehr die Rede. Die Ziele der Bush-Administration gehen weit darüber hinaus.

Doch planen die USA nicht eine Neu-Auflage des Golfkrieges von 1991, sondern eher eine militärische Enthauptungsaktion, nach Art ihrer Panama-Intervention zum Sturz des Generals Noriega. Saddam und seine unmittelbare Gefolgschaft würden gestürzt, getötet oder gefangen genommen, und mit dem Versprechen wirtschaftlicher Prosperität würde in Bagdad eine den USA wohlgesonnene Regierung installiert. Derlei hätte man früher auf Geheimdienstebene erledigt. Aber eben nicht in Form einer militärischen Intervention.

Offenbar sind alle Versuche, Saddam zu beseitigen, fehlgeschlagen. So glaubt man, gegen ihn zu einer Mischung aus Staatsstreich und Militärintervention greifen zu müssen. Oder böse formuliert: Die USA sind im Begriff, ihre karibische Hinterhof-Politik in globalem Maßstab auszubauen. Nicht nur wäre ein Krieg nach Art des letzten Golfkriegs politisch wie finanziell zu teuer, er würde obendrein den Zerfall des in drei Bevölkerungsgruppen gespaltenen Irak provozieren – was niemand wollen kann. So tritt die paradoxe Situation ein, dass sowohl die Kurden im Norden als auch die Schiiten im Süden, wiewohl sie seit langem erbitterte Gegner Saddams sind, in den strategischen Planungen der USA kaum vorkommen. Die Scheu vor einer ethnischen Aufspaltung erklärt auch, warum die Intervention mit US-eigenen Truppen alternativen Szenarien stets vorgezogen wird: Jede nachhaltige operative Nutzung der irakischen Opposition würde den Fortbestand des Irak in Frage stellen und die gesamte Region in ihren Grundfesten erschüttern.

Handeln und Gegenhandeln

Aber wie wahrscheinlich ist es, dass eine Enthauptungsaktion erfolgreich sein wird, dass das irakische Militär keinen ernsthaften Widerstand leistet und das Eindringen amerikanischer Streitkräfte in Bagdad nicht in verlustreichen Straßen- und Häuserkämpfen endet? Ganz offensichtlich gehen die US-Planer davon aus. Doch gerade Militärs, die sich der Überlegenheit ihrer Truppen sicher sind, neigen dazu, einen essenziellen Kriegsgrundsatz zu vernachlässigen: dass Kriegführung aus Handeln und Gegenhandeln besteht. Denn militärische Schläge erschöpfen sich nicht in der organisatorischen Umsetzung eines Projekts, sie sind der Kampf mit einem anderen Willen. Und dieser Kampf beginnt in der Regel damit, dass man dem Gegner Informationen zukommen lässt, die ihn über die eigene Stärke täuschen. Da ein Fehlschlag der US-Militärs Saddams Einfluss in der Region enorm steigern würde, könnte er einen amerikanischen Angriff geradezu herausfordern wollen.

Aber auch im Falle eines amerikanischen Erfolges würde die politische Welt – nicht nur im Nahen Osten – eine andere sein. Die Bändigung geopolitischer Interessen durch die UNO würde keinen Bestand mehr haben. Die UN-Charta würde das sein, was Reichskanzler von Bethmann Hollweg im August 1914 von der belgischen Neutralitätsgarantie sagte: ein Fetzen Papier. Die territoriale Integrität der Staaten würde perforiert, aber ein neues Weltbürgerrecht oder eine Politik humanitärer Verantwortlichkeit würde daraus nicht erwachsen. Stattdessen lieferten die USA ein Muster klassischer Machtpolitik, freilich nicht unter den Bedingungen des Multilateralismus, wie im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts, sondern als einzige Expansionsmacht. Das aber dürfte zur Folge haben, dass die Gegner der USA an Zahl weiter zunehmen – und unüberschaubar werden.

Der Autor lehrt Politische Theorie an der Berliner Humboldt-Universität. Im September erscheint sein Buch „Die neuen Kriege“ im Rowohlt Verlag.

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