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Großbürgerliche Familienidylle. Richard Strauss mit Gattin Pauline und Sohn Franz, um 1900.

© Richard-Strauss-Institut, Garmisch

Richard Strauss in Berlin: Der Maestro wohnt zur Miete

Zwei Jahrzehnte hat Richard Strauss in Berlin gelebt – immer in Charlottenburg. Richtig heimisch wurde der Komponist in der deutschen Hauptstadt aber nicht: Premieren feierte er lieber in Dresden, und Eigentum erwarb er erst, als es weiter nach Wien ging. Eine Spurensuche zum 150. Geburtstag des Komponisten.

„Berlin ist eine reizende Stadt“, schreibt Richard Strauss am 31. Oktober 1898 an seinen Freund Georges Khnopff, „meine Frau hat eine herrliche Wohnung daselbst gemietet: 9 Zimmer mit Luftheizung, 2800 M.“ Einen Tag später tritt der Komponist sein Amt als Preußischer Hofkapellmeister an, bereits am 5. November dirigiert er Unter den Linden Wagners „Tristan und Isolde“.

Für zehn Jahre hat sich der 34-Jährige ans kaiserlichen Opernhaus verpflichten lassen, zu einem Jahresgehalt von stattlichen 18 000 Mark. Am Ende wird er mehr als zwei Jahrzehnte lang in Berlin bleiben, bis er 1919 als Direktor der Wiener Oper nach Österreich übersiedelt.

Und doch verbindet man den Namen Richard Strauss heute vor allem mit den Städten München und Dresden. München, weil seine Werke dort am liebevollsten gepflegt werden. Und Dresden, weil an der Semperoper seine wichtigsten Werke herauskamen – auch während der Berliner Jahre. Im Frühjahr 1901 hatte der Komponist versucht, seinem Intendanten Georg von Hülsen-Haeseler einen Knebelvertrag aufzudrücken: Für die Uraufführung seine neue Oper „Feuersnot“ im Haus Unter den Linden verlangte er gleichzeitig eine Neuinszenierung seines in Weimar gefloppten Bühnenerstlings „Guntram“. Als man seinem Verlangen nicht nachgibt, verkündet der Tonsetzer, er werde Berlin niemals wieder eine Uraufführung anbieten. Als heißester Newcomer der europäischen Musikszene kann sich Strauss solche Hochmütigkeiten erlauben. Und so komponiert er fürderhin in seinem herrschaftlichen Charlottenburger 300-Quadratmeter-Domizil Opern für andere Musikmetropolen.

Beim Einzug des Komponisten mit Frau und einjährigem Sohn ist das Mehrfamilienhaus in der Knesebeckstraße 30 gerade erst fertig geworden. Im angesagtesten Viertel des boomenden Charlottenburg bietet der Prachtbau seinen Bewohnern allen nur erdenklichen Komfort. Heute hat im zweiten Stock das Architekturbüro J. Mayer. H seinen Sitz, das mit der spektakulären baumartigen Platzskulptur „Metropol Parasol“ in Sevilla bekannt wurde und auch in Berlin mit einem Wohnhaus bei der Kalkscheune gezeigt hat, dass moderne Fassaden nicht automatisch Glas-Naturstein-Vorhänge sein müssen.

Das großbürgerliche Flair ist auch heute nicht verflogen

Obwohl die Räume heute weiß gestrichen sind, obwohl hier puristische Designer-Schreibtische statt gedrechselter Gründerzeitmöbel stehen, ist das großbürgerliche Flair nicht verflogen. Von der hohen Eingangshalle führt eine breite Treppe hinauf, deren Geländer aus hölzernen Amphoren besteht, die ihrerseits mit geschnitzten Blumenmotiven verziert sind. Drei lichte Salons gehen nach vorne raus, das Berliner Zimmer beeindruckt mit üppigem neogotischen Stuck, zum Innenhof haben nur die Küche und einige Nebengelasse ihrer Fenster, während die Schlafzimmerflucht einen freien Blick ins Grüne des Block-Innenbereichs gewährt.

Es war wohl vor allem Richard Strauss’ Gattin Pauline de Ahna, die Tochter eines Armeegenerals, die auf solch ein Ambiente Wert legte. Auf einem Foto, das kurz nach der Jahrhundertwende entstand, präsentiert sich die Kleinfamilie in edlen Lederfauteuils. Im Vordergrund steht ein feines Teeservice, im Hintergrund sieht man Ölgemälde und einen barock anmutenden Schrank aus dunklem Holz. Pauline ist nach der allerneuesten Mode gekleidet, der Sohn puppenhaft ausstaffiert, während der Hausherr eher pflichtbewusst in die Kamera blickt.

Als für den Fotografen diese großbürgerliche Idylle inszeniert wird, hat die Familie bereits ihren ersten Umzug innerhalb Charlottenburgs hinter sich. 1904 muss es die breite, repräsentative Joachimstaler Straße sein. Das Haus Nr. 17 wurde im Krieg zerstört, heute erhebt sich hier ein monströsere Hochhauskomplex aus den siebziger Jahren. Stehengeblieben ist dagegen das Eckhaus am einstigen Reichskanzlerplatz, der seit 1963 den Namen von Theodor Heuss trägt. Kaiserdamm 39 lautete die Adresse zu Strauss’ Zeiten, heute muss man die Post in die Heerstraße 2 schicken.

Eine Gedenktafel verkündet, dass der Komponist hier seine Opern „Frau ohne Schatten“ sowie „Ariadne auf Naxos“ zu Papier gebracht hat, im herrschaftlichen Entree wird ein künstlicher Kamin von einer Wandvertäfelung gerahmt, die gewölbte Kassettendecke ziert ein Kronleuchter im Renaissancestil.

Auch in dieses Haus zogen die Straussens als Erstmieter ein. Wuchtig ist die Anmutung der klassizistisch gestalteten Fassade, im vierten Stock, wo Strauss wohnte, zieren Theatermasken aus Gips die Balkonbrüstungen. Ein hölzerner Fahrkorb aus dem Baujahr 1912, der in einem Gitterkäfig nach oben gleitet, bringt den Besucher hinauf: Hier empfängt Rechtsanwalt Michael Malorny. Seit 1990 hat er seine Kanzlei in dem Haus. Freundlich führt er den Gast herum – wobei sich herausstellt, dass die 20 Zimmer, von denen Biografen raunen, dann doch eine Übertreibung darstellen. Auf zwölf Räume verteilen sich die 341 Quadratmeter, im Eingangsbereich fällt das hohe, bleiverglaste Fenster zum Lichthof auf, die eleganten Deckenstuckaturen sind weitgehend erhalten, ebenso die Originalbeschläge an den Flügeltüren. Im Arbeitszimmer des Komponisten steht jetzt Malornys Schreibtisch – das heißt, in der Hälfte davon: Denn der Raum mit dem prächtigen Platzblick war dermaßen groß, dass der Rechtsanwalt eine Trennwand einziehen ließ, um sich nicht ganz so verloren zu fühlen.

Noch länger als von seinen vorangegangenen Wohnungen ist für Richard Strauss von hier die Anfahrt zum Opernhaus Unter den Linden. Wer allerdings zeigen will, dass er es gesellschaftlich geschafft hatte, kann repräsentativer nicht residieren. Und tatsächlich hat sich Strauss während seiner Berliner Jahre zum mächtigsten Mann der Musikwelt hochgearbeitet: Vom Kaiser, dem er untertänigst militärische Festmärsche widmet, mit Orden behängt, ein Pultgigant, der die Berliner Philharmoniker 1908 auf eine triumphale Europatournee führt, der sich in den USA feiern lässt, dem Chefpositionen in aller Welt angeboten werden. Und der die Reichshauptstadt dann doch nur als Karriere-Durchgangsstation betrachtet. Hier bleibt er immer Mieter, kaum aber hat er 1919 seinen Posten in Wien angetreten, lässt er sich dort eine eigene Villa bauen.

Ein bedeutendes Werk hat Richard Strauss dann übrigens doch in Berlin aus der Taufe gehoben: seine „Alpensinfonie“, 1915 in der Philharmonie an der Bernburger Straße. Auf dem Podium saß die Dresdner Hofkapelle.

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