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Kultur: Der Mann aus Stein

WETTBEWERB Menschen im System: „The Good Shepherd“ von Robert De Niro

Ja, dieser Film ist lang: 167 Minuten, aber was für welche. Er ist auch langsam: Wie ein Jumbo rumpelt er Richtung Startbahn, erst scheinbar schwerfällig, aber dann, welche Höhe, welche Reichweite auch. Ja, dieser Spionagefilm ist kein James Bond, der uns alle paar Jahre wieder mit Vergnügen für zwei Stündchen das Hirn aus dem Kasten bläst. Sondern einer über die grauen Herren von der Lebenssparkasse, mit dem allergrauesten in seinem Mittelpunkt: Matt Damon, trauriger Hut, unmöglich hoher Seitenscheitel, Weitsichtigenbrille. Große, schwimmende Augen des Staates sind das, todtraurige, wegverkaufte Großkinderaugen. Aber es wird doch wenigstens Action geben – schließlich geht es laut Werbeslogan um „die Geschichte des mächtigsten Geheimdienstes der Welt“? Ach, i wo. Fast keine.

So, jetzt sind wir unter uns. Und Elizabeth Weizman ist auch schon gegangen. „Wenn das Leben von CIA-Agenten wirklich so dröge ist“, hat sie in der „New York Daily News“ gelästert, „hätten sie ihre Geheimnisse besser für sich behalten.“ Kann man so sehen. Ist aber vielleicht auch ein Brillenproblem.

In Deutschland weiß man es spätestens seit „Das Leben der Anderen“ besser. Man weiß, dass graue Männer mit unförmigen Kopfhörern, verschanzt in einem Dachboden und mit einem Nichts an Leben drumherum, verdammt spannend sein können. Besonders spannend, wenn sie sich, wie die Uli-Mühe-Stasi-Figur, zum Helden läutern. Geradezu unerträglich spannend aber kann es werden, wenn man sogar auf solch moralische Wendung verzichtet. Wenn die Matt-Damon-CIA-Figur funktioniert und funktioniert und drumherum das Fitzelchen Leben, das ihr versprochen oder auch nur geblieben ist, auch noch wegkokelt. Wenn ein Film nicht mit drei Ausrufezeichen endet, sondern souverän seiner eigenen Stille traut und ausläuft, ohne Punkt und Pointe.

Also: Matt Damon. Dieses Allerweltsgesicht, tauglich für die jungenhafte Weltneugier wie für die Versteinerung, die einen im mittleren Alter befallen kann, spielt Edward Wilson. Der Vater bringt sich um, als Edward sechs Jahre alt ist, und von da an wird Edward Ersatzväter suchen und Ersatzsöhne, und er wird älter und älter werden und verdammt allein. Er hat sogar Familie, damit das klar ist: eine schöne Frau (Angelina Jolie) und einen Sohn, der zum übereifrigen jungen Mann (Eddie Redmayne) heranwächst, nur begegnet Edward den beiden fast nie, sein Leben gehört schließlich der Agency. Aber nicht einmal das sollen sie wissen oder wenigstens nicht weitersagen, verdammt, da kann Edward ausnahmsweise sehr böse werden. Denn das Leben ist ein Geheimnis, das versteckt man am besten vor sich selbst.

Ein Familienpsychodrama. Eine Geschichte vom verzweifelten Versuch, wenigstens unter Vätern, Söhnen und Brüdern zu Hause zu sein, wenn schon die sonstige Liebe nirgendwohin führt (außer zu Schwangerschaften, Liebesabtreibungen, Lieblosigkeitshochzeiten). Das soll eine CIA-Geschichte sein, mit falschen Pässen und richtigen Wanzen, mit Maulwürfen und Überläufern, mit Verwicklungen und Verrat? Aber gewiss doch, es ist auch eine CIA-Story, und was für eine.

Da wäre zum Beispiel der Skull & Bones-Bund – schon mal gehört? Edward Wilson gerät zu Beginn des Zweiten Weltkriegs in Yale in diese Geheimgesellschaft, die es auch außerhalb des Kinos gibt (die Bushs und die Kerrys haben da ihr zweites Zuhause): Kaderschmiede für die Topjobs der Politik, sichtbar oder verdeckt – Hauptsache: Macht. Wilson entscheidet sich für die Unsichtbarkeit, ziemlich weit oben in einer Reihe grauer Herren, denen Robert De Niro, William Hurt und auch Alec Baldwin und andere mehr ihre großartig blass gemachten Gesichter geben. Im heißen Krieg in London und Berlin wird Wilson Chef der Gegenspionage, und aus dem Office of Strategic Services wird im Kalten Krieg die CIA. Und die Großfamilie – heutige Mitarbeiterzahl: 30 000 – kümmert sich stets sorgfältig um jeden Einzelnen, seine kleine Familie inbegriffen. „The Good Shepherd“ – im Johannes-Evangelium deutet sich Jesus als Hirte, der keines seiner Schafe im Stich lässt – erzählt von dieser umfassenden Fürsorge mit tödlicher Präzision. Wilson erlebt und erfüllt sie von Jugend auf bis zur Invasion in der Schweinebucht 1961, die Fidel Castro stürzen sollte und bekanntlich schiefgegangen ist. Schadensdiagnose: total, letal, kollateral. Da fängt alles an und endet auch ungefähr dort, aber die Panne beendet nicht etwa Wilsons Leben. Wie auch: Wie soll etwas aufhören, das gar nicht angefangen hat?

Dazwischen könnte der Film jetzt aber bitte chronologisch sein. Sorry, auch diesen Gefallen lässt er aus, sondern bewegt sich mit träger Eleganz und unverschämter Verspieltheit zwischen den Zeiten hin und her. Immerhin: Es gibt etwas Spannendes aufzuklären, und damit haben wir, wenn wir es nicht vor lauter Schmerz übersehen, die ganze Zeit zu tun. Dazwischen: Finten, Flüstern, fauler Frieden. Jemand wird buchstäblich um die Ecke gebracht, jemand schuldet jemandem – wunderschöne Ausnahmeszene ohne doppelten Boden – noch einen Tag am Strand, und kurz darauf wird jemand zugerichtet, als sei Abu Ghraib schon damals gang und gäbe gewesen. War es wahrscheinlich. Blieb ja geheim.

Vor 14 Jahren hat Robert de Niro mit „A Bronx Tale“ seinen ersten Film gedreht – auch dort geht es um Jungs, ums brüchige Erwachsenwerden, um Väter und Ersatzväter und um einen Apparat: die Mafia-Familie, die das Leben der kleinen Leute lenkt. Er ist nicht so lang wie „A Good Shepherd“, aber er hat Längen, und wo „A Good Shepherd“ sich das unheimlichste Schweigen der Welt verordnet, leidet er manchmal an Geschwätzigkeit. Und doch imponierte „A Bronx Tale“ als Regie-Übung eines Ausnahmeschauspielers, der nun ein Meisterwerk auf der Höhe Scorseses und Coppolas vorlegt: fantastisch genau, fantastisch erhellend, und fantastisch nebenbei.

Es ist die Geschichte davon, was Apparate aus Menschen machen: ein Nichts. Man kann dieses Nichts in Edward Wilsons Augen sehen. Und doch ist dieser so reglose Mensch ein Mensch. Das ist die erschütternde, die andere, die eigentliche Geschichte.

Heute 19 Uhr (Berlinale-Palast), 11. 2.,

15 und 22.30 Uhr (Urania)

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