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Eichinger-Biographie: Der Mann, der sich selbst erfand

2011 starb Bernd Eichinger, Deutschlands erfolgreichster Filmproduzent, "mit einem Knall, nicht mit einem Wimmern". So formuliert es seine Witwe Katja Eichinger in ihrer Biographie "BE", die jetzt veröffentlicht wurde.

Üben, heißt es einmal in diesem Buch, ist für Schwächlinge. Als Bernd Eichinger nach dem Abitur auf die Idee kommt, an die Münchner Film- und Fernsehhochschule zu gehen, leiht er sich 2000 Mark, dreht drauf los und bewirbt sich: mit einem Film. Als er das Studium abgeschlossen hat, will er gleich mal die Nibelungensage verfilmen, den zweiten Teil, „Kriemhilds Rache“. Eichinger, der Nobody aus Bayern, fährt nach Hongkong, um die Kung-Fu-Legende Run Run Shaw für die Kampfszenen zu gewinnen. Anschließend geht es nach L.A., wo er den Erfolgsproduzenten Ed Pressman trifft und einen unbekannten Drehbuchautor namens Oliver Stone. Und wegen der Hauptrolle speist er mit Romy Schneider im Romagna Antica, dem Münchner Restaurant, das später für Helmut Dietls „Rossini“ Pate stehen sollte. Eichinger ist gerade 25.

Aus dem Projekt wird nichts, aber aufgeben wird er es nie. Sein letztes, kurz vor seinem plötzlichen Tod am 24. Januar 2011 vollendetes Drehbuch heißt „Zorn“, wieder geht es um Kriemhild. Und um die Lebensthemen des Produzenten, schreibt seine Witwe, die Journalistin Katja Eichinger: „die Heldenreise am Abgrund, der Körper als Waffe, die verzweifelte Auflehnung gegen ein übermächtiges System, Fanatismus ... Es ist das wahnwitzige Rütteln an den Gitterstäben des Lebens“. Ihre Biografie heißt kurz „BE“. Bernd Eichinger, der Typ mit den Turnschuhen, den Jeans und Bomberjacken, diese Marke von Mensch, der mit Hamlets „To be or not to be“ wortspielte, zeitlebens das „be“ propagierte und doch Hamlet nicht mochte, diesen Zauderer und Zweifler. Die Helden von Deutschlands erfolgreichstem Produzenten waren Angreifer wie Cäsar, Napoleon und Reinhold Messner. Er liebte Pink Floyd und die Callas, war Karl-May- und Marvel-Comic-Afficionado, trug eine Pistolenkugel als Talisman in der Hosentasche und später eine antike Münze aus der Zeit Alexanders des Großen. Ein Nervenkitzel: Wehe, der Glücksbringer ging verloren! Filme, besagte dieses Ritual, sind Heldentaten, meist größenwahnsinnige.

570 Seiten Eichinger. Die Kindheit als Landarztsohn in Neuburg an der Donau, die wilden Lehrjahre in München, die kurze Autorenfilmphase mit Wenders, Reitz und Syberberg, die Erfindung einer deutschen Publikumsfilmindustrie namens Constantin, Wanderjahre in L.A. und New York, Wahnwitz und Schufterei, Pleiten, Millionenerfolge, Euphorie, Depression, Freundschaften, Zerwürfnisse, der Börsengang von Constantin, Eichingers Austritt aus dem Vorstand, die Rückkehr nach Deutschland. Anders gesagt: „Die unendliche Geschichte“, „Der Name der Rose“, „Letzte Ausfahrt Brooklyn“, „Das Geisterhaus“, „Der Schuh des Manitu“, „Der Untergang“, „Das Parfum“, „Der Baader Meinhof Komplex“ – 60 Millionen Zuschauer lockten Eichingers Filme ins Kino.

Wobei dieses Buch exakt in dem Maß vor Testosteron strotzt, wie man es bei Eichinger erwartet. Eine Hagiographie, aber eine ehrliche. Nahaufnahme des Vollblutproduzenten, Kinokriegers, Instinkttiers (er hat Til Schweiger und Nina Hoss „entdeckt“), des Machos. Eichinger war Höhlenmensch (er hasste das „Rausgehen“), Boxfan, Provokateur, Partykönig und Playboy , der mit großen Schauspielerinnen liiert war, mit Hannelore Elsner, Katja Flint, Barbara Rudnik, Corinna Harfouch. Mitunter trieb er seine Sexpartnerinnern auch auf nächtlichen Fahrten durch Münchens Vorstädte auf, oder im Puff. Champagnerpartys werden häufig erwähnt, ebenso Eichingers fetischhafte Beziehung zu sorgfältig gestylten Schönheiten, zu ganz bestimmten Kleidern, zur Farbe Türkis. Ein fast trotziger Stolz schwingt da mit, auf diesen Mann, der so frei war zu tun, was ihm beliebt.

Nun ist es nicht gerade einleuchtend, Bordellbesuche für den Inbegriff einer tollen Sause zu halten. Auch ermüden die Schilderungen von Saufgelagen, Poolparties, Bar- und Restaurantbegegnungen samt den an der Wand zerdepperten Wodkagläsern auf Dauer ebenso wie die rabiate Verteidigung Eichingers gegen das böse deutsche Feuilleton. Das habe sich, heißt es etwa zu den Verrissen von „Das Parfum“, nicht an Absprachen gehalten. Meinungsfreiheit bedeutet nun mal, dass es mit der Presse keine Absprachen gibt.

Aber Katja Eichinger schönt nicht, das ist ihr hoch anzurechnen. Sie mag es nicht, wenn ihr Mann ein Besessener genannt wird. Dafür war er bei der täglichen Arbeit zu konzentriert (weshalb er kein Handy und keinen Laptop besaß), zu sehr Kontrollmensch, trotz exzessiver Kontrollverluste. So zeichnet sie das Porträt des Produzenten als Berserker, als sturen und zugleich großzügigen Glücksspieler, der das Casino hasste, aber wie verrückt mit Filmideen zockte, um den Preis der eigenen Existenz. Wut, ja, aber sie schloss Arbeitswut ein. Der Sieger als Pyrrhussieger? Mag sein. Aber Scheitern als Chance, das war nicht seins.

Auch in Notizen und Zitaten wie in Interviews mit Weggefährten (Wenders, Tykwer, Bully Herbig, der Münchner Barbesitzer Charles Schumann, Uschi Obermaier) wird ein Lebensparadox deutlich. Eichinger war ein Macher par excellence – aufschlussreich die zermürbenden Verhandlungen um Filmrechte, Finanzierungen, Darsteller, Final Cut –, wollte aber als Künstler anerkannt werden. Als Drehbuchautor, Regisseur und Kreativproduzent, nicht als gewiefter Bestseller-Verfilmer und „Ballermann 6“-Mogul mit Prollhumor. Ein Zwiespalt, der ihn aufrieb. Dünnhäutigkeit, Einsamkeit, Versagensängste, die Dämonen im Schatten der Kampfeslust nehmen viel Raum ein im Buch. Das Beste, was er je zustande brachte, sagt er einmal, sei seine Tochter Nina. Hamlet war ihm doch nicht fremd. Eichinger, das Kriegsendekind, Jahrgang 1945. Aus all den Episoden und Anekdoten destilliert Katja Eichinger eine psychologisierende These: Die Zeit als Jugendlicher im Internat hat ihn so traumatisiert, dass gefangene, sich befreiende Helden durch fast all seine Projekte geistern, auch durch das letzte, der Verfilmung des Buchs von Natascha Kampusch. Sie wird nun posthum realisiert.

Das Leben als Eskapade. „Er ging mit einem Knall, nicht mit einem Wimmern“, heißt es über seinen tödlichen Herzinfarkt beim Essen mit Freunden im Hollywood-Restaurant. Mehr Verdichtungen dieser Art, eine pointierte Verteidigung der Lautstärke gegen die leisen Lebenstöne zum Beispiel, hätten dem Buch gutgetan. Überhaupt vermisst man ein sorgfältiges Lektorat: Der Vorname Bernd taucht in so gut wie jedem Satz auf, Details wie die vor Ungeduld zerstörten Autoradios werden mehrfach ausgebreitet, die Sprache wird malträtiert und „die Kamera rollt“.

Er ist auch ein Mann der Fünfzigerjahre. Das Wirtschaftswunder hat ihn geprägt, der Frauengeschmack jener Zeit. Den Deutschen kam Eichinger immer sehr amerikanisch vor, als einer, der sich unermüdlich selber erfindet. Den Amerikanern galt er als zutiefst europäisch, denn das Filmemachen als reines Business blieb ihm fremd. So ist dieses Buch auch ein transatlantisches Sittengemälde, eine Landkarte der Mentalitäten, auf der die USA und die Bundesrepublik einander so nah sind und doch so fern.

Katja Eichinger: BE. Hoffmann und Campe, Hamburg 2012, 576 Seiten, 24,99 €

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