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Kultur: Der melancholische Macho Klaartje Quirins Doku

über Anton Corbijn.

Früher einmal hat Anton Corbijn andere ins Rampenlicht gestellt. Mit seinen dramatischen, monochromen Fotografien, später auch mit Plattencovern, Bühnendesigns und Musikvideos prägte er das Image von Popmusikern und Bands – etwa Joy Division, Depeche Mode, U2 und Nirvana. Neuerdings dreht er Spielfilme: „Control“ (2007), ganz in Schwarz-Weiß, erzählte vom kurzen Leben des Joy-Division-Sängers Ian Curtis. 2010 folgte der kunstvolle Thriller „The American“, fotografiert in der kantigen Landschaft der Abruzzen, mit George Clooney als schwermütigen Mörder. Im Herbst nun dreht Corbijn „A Most Wanted Man“ nach einem Roman von John LeCarré, mit Philip Seymour Hoffman.

Corbijn, Starfotograf und imagemaker, ist längst selber ein Künstlerstar, dessen Bilder in Galerien und Museen hängen. Logisch, dass es nun auch einen Film über ihn gibt, „Anton Corbijn, Inside Out“, die Niederländerin Klaartje Quirijns hat ihn gedreht. Darin sagt Metallica-Sänger James Hetfield über Corbijn: „Er kann jeden cool aussehen lassen.“ So ist es – und cool wirkt auch er selber. In einer Zeit, der Selbstdarstellung über alles geht, gibt er sich distanziert, mitten in einer Welt aus Glamour und Entertainment. Oder wie Bono es ausdrückt: Corbijn hat Gravitas. Popstars mögen diese melancholische Art von Machismo. Wer von Corbijn fotografiert wird, lacht fast nie. Denn er hat zu viel gesehen.

Auch Klaartje Quirijns liebt die Coolness ihres Freundes Corbijns, aber zum Glück analysiert sie sie auch. Nach ihrem Jurastudium hat sie Filme über Kriegsverbrecher, Waffenhändler und afrikanische Diktatoren für den Sender VPRO gedreht. Dessen Prinzip ist die exakte Beobachtung des Alltags, ohne Schönfärberei. In „The American“ zeigte Corbijn den Mörder in seiner Einsamkeit – Clooney trinkt allein Kaffee, Clooney macht Liegestützen –, und genau so zeigt auch die Doku Corbijn als einsamen Weltenbummler. Er packt Koffer, er arbeitet im Hotelzimmer, sucht alte Mauern und Treppen als Bildhintergründe aus. Quirijns folgte Corbijn fast vier Jahre lang und begleitet ihn auf seine Heimatinsel Strijen in der Provinz Seeland: Dort wuchs er als Sohn eines Pfarrers der Reformierten Gemeinde auf – im Klima einer strengen, sturen Religion, die die Last der Welt auf die Schultern der Gläubigen legt.

Dieser Umwelt entkam Corbijn, suchte sich aber nun statt des einen Gottes populärkulturelle Halbgötter – ein Selbstbild, das er in Fotobüchern und Interviews zelebriert. „Inside-Out“ unterläuft aber immer wieder Corbijns Tendenz zur Selbstinszenierung. Einmal überrascht ihn seine wirre alte Mutter mit dem Bekenntnis, sie habe in der Jugend einen anderen Mann heiraten wollen, und Corbijns enttäuschtes Gesicht verrät, dass er in diesem Augenblick eine Illusion verliert. Als Quirijns ihm später fragt, warum er Menschen gegenüber immer solche Distanz bewahrt, flieht er fast vor der Kamera. Seine Coolness ist also keine Pose, sondern Leidenschaft: Der Mann liebt Musik und Bilder mehr als Menschen.

Die Kehrseite einer solchen Haltung? Ein Leben allein. Fast scheint der Film auf das Klischee hinauszulaufen, die Arbeit mit der Kamera führe eben in die Isolation. Quirijns aber verengt ihr Porträt nicht auf diese eine Perspektive. In den schnell geschnittenen, kurzen Szenen entsteht ein fragmentarisches Bild des heute 56-Jährigen, das dem Zuschauer Raum lässt. Man muss Corbijns Arbeit nicht einmal kennen, um neugierig zu werden auf den im Film so genau gezeichneten Charakter: sehr selbstbewusst, aber voller Lebensangst. Holländisch nüchtern, aber leidenschaftlich. Distanziert, aber gefühlvoll. Hinter der Kamera, aber auch gern im Rampenlicht. Maartje Somers

Eiszeit, Filmkunst 66 (am Sonnabend,

19 Uhr, mit Anton Corbijn) und Hackesche

Höfe (alle OmU)

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