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Kultur: Der Mensch ist des Menschen Bär

Dreimal Animationskino: Lenard Krawinkels „Back to Gaya“, der erste computeranimierte Langfilm aus Deutschland. „Bärenbrüder“ kommt von Disney. Und mit „Zwerg Nase“ zeigen die Russen, dass sie die besseren Disneyaner sein wollen

Angekündigt war es schon lange, jetzt ist es Wirklichkeit: die Wiederbelebung toter Stars per Computertechnik. Der 1989 gestorbene Laurence Olivier, Englands großer Shakespeare-Darsteller, feiert posthum Comeback – als schrulliger Erfolgsautor Albert Drollinger in Back to Gaya , der die Kontrolle über seine Figuren verliert. Drollinger hat die Serie „Die Abenteuer von Buu und Zino“ konzipiert, um deren Einschaltquoten ihn Konkurrent Professor N. Icely beneidet. Doch N. Icely ist Drollinger technisch überlegen: Mit Hilfe einer Transfermaschine lockt er Buu, Zino und ihre Freunde aus ihrer virtuellen Heimat Gaya hinein in die Realität. Durch das Fehlen der Figuren, so hofft er, sinken die Quoten – und nebenbei plant er auch noch den Weltuntergang. Lava soll aus den Fernsehern in die Wohnungen fließen. Doch er hat seine Rechnung ohne Buu und Zino gemacht, die lernen, auch ohne Drollingers Drehbücher allerlei Gefahren zu überstehen.

Diesen ersten computeranimierten Langfilm aus Deutschland hätte man Lenard F. Krawinkel („Sumo Bruno“) gar nicht zugetraut. Hier bietet er originelle Figuren, rasante Verfolgungsjagden und ein wenig Horror. Mal sind es Ratten, die die winzigen TV-Helden in der Realität bedrohen, mal auch ein süßer kleiner Junge, der aus der Perspektive der Mikro-Stars gar nicht mehr süß aussieht. Man erkennt Motive aus „Gullivers Reisen“ wieder, aus dem „Zauberer von Oz“ und sogar „Harry Potter“. Der Antiheld Buu ist ein ängstlicher Streber mit Brille, sein Mitkämpfer Zino ein blonder Hüne ohne Hirn und die schlagkräftige Alanta eine Lara Croft-Kopie mit Sandra-Bullock-Zügen und so eng anliegenden Hosen, dass man den Film erst ab 16 freigeben sollte.

Auch das Drehbuch des Berliners Jan Berger zeichnet sich durch einen für das Genre untypischen Ehrgeiz aus. „Back to Gaya“ behandelt den Unterschied zwischen Fernsehen und Realität, auch soziale Konflikte werden angesprochen, und trotz seiner erzieherischen Ansätze bietet er unbeschwerte Unterhaltung. Hinzu kommen wunderbar absurde Dialogsätze wie „Die Schnurks haben den Dalamiten!“ Mit so hohen Erfolgschancen haben deutsche Filmschaffende schon lange nicht mehr nach Hollywood geschielt.

Das Plakat zeigt statt Bären zwei Elche. Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen zoologischen Irrtum des Hauses Disney, sondern um eine sublime Selbstkritik des Studios an seinem 44. abendfüllenden Zeichentrickfilm. Der einzige mildernde Umstand für Bärenbrüder sind in der Tat die Ikea-Elche Benny und Björn, deren Vorfahren den schweren Irrtum begingen, aus Schweden auszuwandern. Nun sind Nebenfiguren längst – in Sachen Bekömmlichkeit – die eigentlichen Disney-Helden, aber noch nie war das so auffällig wie hier.

Die Geschichte spielt in schamanistischer Frühzeit, als Menschen noch in Bären verwandelt werden konnten. Das hat den Nachteil, dass man plötzlich von den eigenen Brüdern gejagt wird – und den Vorteil, zu erkennen, was nicht einmal moderne Präsidenten wissen: Wer die Bestie ist, ist immer auch eine Standortfrage. Mensch oder Bär. Aber lohnt sich dafür der Opfergang ins Kino?

Die Schamanin des Stammes ist die klügste und gütigste aller Großmütter, was das Wesen der magischen Religiosität auf dramatische Weise verkennt. Aber nicht darin liegt die Zumutung. Es ist Phil Collins. Wir haben ja schon immer gewusst, dass der Ex-Drummer von „Genesis“ Peter Gabriel als Sänger nie ersetzen konnte. Schlimm genug, dass er überhaupt angefangen hat zu singen. Und jetzt auch noch auf Deutsch!

Go Disney: Das ist jetzt auch in Russland Devise. Thematisch immerhin nicht ganz abgelegen: Schließlich sind es die Märchenfilme, für die wir die Russen geliebt haben. Nur: Ästhetisch ein bisschen anders waren sie schon. Doch nach den ersten Bildern, den ersten Takten Musik von Zwerg Nase ist klar: Wo St. Petersburg draufsteht, ist Disneyland drin. Bis in die letzte Note, bis zum letzten Strich des Animationsstiftes. Bis zur Entseelung und großkitschäugigen Neubeseelung aller Figuren. Ja, nicht einmal vor den Märchen macht die Globalisierung halt.

Eigentlich ist „Zwerg Nase“ ein Koch-Märchen. Es spielt fast durchgängig in Küchen, und als das böse alte Weiblein dem Schusterssohn Jakob die Zaubersuppe zu essen gibt, sagt sie: „Aber das Kräutlein, das Kräutlein sollst du nimmer finden!“ Erst heute bekommt die Alte wirklich Recht. Man findet vieles in diesem Big-Mac-Zwerg-Nase, aber das Kräutlein, das eine Sache erst zu dem macht, was sie ist – Wilhelm Hauff zu Wilhelm Hauff und einen russischen Märchenfilm zu einem russischen Mächenfilm – das werden wir nimmer mehr finden.

Vom „Zwerg Nase“-Märchen sind nur noch eine altdeutsche Stadt, Jakobs Nase und die Gans übriggeblieben, aus dem Kräuterweiblein aber ist eine mächtige Zauberin mit Schloss und Steinmonster geworden und immer so weiter. Das alles hat „Melnitsa Animation“ aus St. Petersburg in den ehemaligen „Studios für den wissenschaftlichen Film“ perfekt gezeichnet. Disneyaner aller Länder, vereinigt euch! Kerstin Decker

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