zum Hauptinhalt

Kultur: Der Mensch ist gut. Im Prinzip jedenfalls

"Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei; hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um die Ecke; andere Autos schoben sich nach.

"Diese Autos! Sie drängten sich hastig an der Straßenbahn vorbei; hupten, quiekten, streckten rote Zeiger links und rechts heraus, bogen um die Ecke; andere Autos schoben sich nach. So ein Krach! Und die vielen Menschen auf den Fußsteigen! Und von allen Seiten Straßenbahnen, Fuhrwerke, zweistöckige Autobusse! Zeitungsverkäufer an allen Ecken. Wunderbare Schaufenster mit Blumen, Früchten, Büchern, goldenen Uhren, Kleidern und seidener Wäsche. Und hohe, hohe Häuser. Das war also Berlin."

Das also ist Berlin: Links und rechts hohe, hohe Kulissen, auf die wilhelminische Backsteinfassaden aufgemalt sind. "Droguerie Farbe Waaren Handlung" steht da drauf oder "Kohlen Meyer". Im Hintergrund ziehen Projektionen von Häuserschluchten und Tiergartenlichtungen vorüber. Und von allen Seiten wackeln Laternen, Ampeln, Kioske über die Bühne. Und vorne, in der gelb angepinselten Straßenbahn der Linie 171 steht Emil und lässt den Herrn Grundeis nicht aus den Augen, der ihm im Zug von Neustadt nach Berlin sein Geld gestohlen hat. Die Straßenbahn ist eine Holzattrappe, die von den Schauspielern an unsichtbaren Griffen getragen wird und darum so lustig durch die Szene schwankt.

In "Emil und die Detektive", Erich Kästners 1929 erschienenem "Roman für Kinder", stürzten die Sensationen Berlins mit solcher Vehemenz auf den Kleinstadtjungen Emil ein, dass der bloß noch mit offenem Mund dastehen konnte und jeder Satz mit einem Ausrufezeichen enden musste. Straßenbahnen! Doppeldeckerbusse! Hochhäuser! In "Emil und die Detektive", dem "Familienmusical" von Marc Schubring (Musik) und Wolfgang Adenberg (Text), das im Stella Musical Theater am Potsdamer Platz seine "Welturaufführung" erlebte, wird nur noch aus zweiter Hand gestaunt. Keine Aha-, aber viele Oho-Effekte: Niedlich sind die Matrosenanzüge, Knickerbockerhosen und Schürzenkleider, in denen die Kinderdarsteller über die Bühne toben, und die pastellfarbenen Kulissen erinnern einerseits natürlich an die "Emil"-Buchillustrationen von Walter Trier, andererseits aber auch an die Heile-Welt-Malereien eines Tomi Ungerer (Kostüm und Bühnenbild: Christoph Weyers). Das Musical ist, wie die Stella betont, "die einzige von den Kästner-Erben und dem Verlag Kästners autorisierte Musiktheater-Fassung des Romans".

Statt die Handlung in die Gegenwart zu transportieren - Franziska Buch hat das in ihrer Verfilmung zuletzt erfolgreich getan -, hangelt sich das Stück streng an der Vorlage entlang. Die Dialoge folgen den Formulierungen des Romans, selbst bei den Liedtexten wurde am liebsten auf Original-Kästner zurückgegriffen, so dass etwa die um ihren Emil bangende Großmutter kopfschüttelnd singt: "Nee, nee, die Sache gefällt mir nicht." Die Musik, die ein Pan-Tau-artig köstumiertes Orchester unter der energischen Leitung von Christoph Hagel spielt, ist nachweislich im Jahr 2001 geschrieben worden, klingt aber schwer nach 1931. Sie swingt, schlagert und foxtrottet, und die Trompeten sind dermaßen gestopft, dass sie auch aus einem Röhrenradio quäken könnten. Konsequenterweise besteht der einzige echte Regieeinfall von Michael Pinkerton darin, Kästner gleich selber mitspielen zu lassen. Der Schriftsteller, mit milder Melancholie von Peter Gavajda dargestellt, trägt die rote Nelke wie eine Träne im Knopfloch und führt singend, tanzend, lachend durch den Abend. Er stellt sich als "Berthold Bürger" vor, unter dem Pseudonym, mit dem der Drehbuchautor Kästner das Dritte Reich überlebte.

Der onkelhafte Erzähler wirkt wie ein Lehrer, dem die Kontrolle über seine Pennäler entglitten ist. Was Kästner ja auf seine Art auch war: ein Lehrer. Seine Kinderbücher sollten ihre Leser nicht nur fesseln, sondern auch moralisch imprägnieren. Dass der Mensch gut ist, das glaubte Kästner gerne. Nur dürfe man es ihm nicht zu leicht machen, dem guten Menschen. Sonst könne es plötzlich passieren, dass er schlecht werde. Inkarnation dieses skeptisch-heiteren Menschenbildes ist der Taschendieb Grundeis, der Emil um seine aus 140 Reichsmark bestehende Reisekasse erleichtert. So wie Holger Hauer ihn spielt, scheint er geradezu dem Roman entstiegen: Zackig einherschreitend, mit einem steifen Hut auf dem Kopf und einem nervösen Zucken im Gesicht. Ein schlechter Mensch ist er geworden, weil er als Kind nicht geliebt wurde und nun Kinder selber "eklig" findet. Dabei fällt es an diesem Abend schwer, Kinder nicht zu mögen. Pony Hütchen (Yaima Zimny) lispelt süß, und Gustav mit der Hupe (Falk-Arne Goßler) vertritt lauthals berlinernd das Zille-Element. Nur Emil (David Hofmann) bleibt darstellerisch blass, singt dafür aber mit schöner Tenorstimme. Wenn sich alle 19 Kinderdarsteller zur Chorus-Line formieren, hat der Abend seine besten, entfesselten Momente. Etwas mehr kindliche Anarchie hätte der Inszenierung gut getan.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false