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Kultur: Der Modellsparer

Das Theater Aachen steht in keiner Kritiker-Bestenliste, und doch ist das Dreispartenhaus zu einer Pilgerstätte geworden: Zu einem Mekka für gebeutelte Komunalpolitiker und Intendanten mit schwindenden Etats.Im Theater wollen sie das Sparen lernen.

Das Theater Aachen steht in keiner Kritiker-Bestenliste, und doch ist das Dreispartenhaus zu einer Pilgerstätte geworden: Zu einem Mekka für gebeutelte Komunalpolitiker und Intendanten mit schwindenden Etats.Im Theater wollen sie das Sparen lernen.Elmar Ottenthal, der Aachener Generalintendant und frischgekürte Kandidat für die Nachfolge Helmut Baumanns am Berliner Theater des Westens, soll es ihnen beibringen.Seit 1992 krempelt der gebürtige Tiroler hinter der klassizistischen Fassade seines Hauses althergebrachte Stadttheaterstrukturen um."Wir sitzen doch alle viel zu satt auf dicken Polstern und führen uns beamtlich auf", so die Worte des 47jährigen.Ottenthal übernahm das Theater zu Bedingungen, die Intendanten eigentlich eher zur Aufgabe ihres Posten bewegen.Gleich zu Beginn sollte der frischgebackene Generalintendant fünf Prozent seines Budgets einsparen.Drei Jahre nach seinem Amtsantritt verkündete Ottenthal stolz, fünf Millionen Mark eingespart zu haben.Das brachte ihm das Vertrauen der Stadtväter ein und dem Theater Planungssicherheit bis zum Jahr 2004."Es ist wichtig, daß die Politik hinter der Institution Theater steht.Man kann im Theater nur mit langfristigen Vorgaben sinnvoll arbeiten", sagt Ottenthal.Nur auf dieser Basis sei es dem Intendanten möglich, im laufenden Betrieb Rücklagen zu bilden, etwa für Tariferhöhungen, oder langfristige Kooperationen einzugehen.

"Ich verlasse Aachen mit Vorfreude auf Berlin, aber es tut mir auch ein bißchen weh", beschreibt Ottenthal das Gefühl, seiner "Modellbühne" im nächsten Jahr den Rücken zu kehren.Die Aussicht, vom gefeierten Lokalmatador, dessen Vertrag die Stadt dieser Tage bis zum Jahr 2004 verlängern wollte, zum Berliner Überraschungskandidaten zu wechseln, reizt ihn: "Es wird eine schöne Zeit werden", sagt er optimistisch.Vermeintlich sichere Posten hat Ottenthal im Laufe seiner Karriere schon oft aufgegeben.An der Wiener Staatsoper war er Assistent von Intendant Lorin Maazel und trennte sich doch von der goldglänzenden Diva: "Ich habe die Wiener Staatsoper aus Überzeugung verlassen.Im Repertoirebetrieb spielt das Szenische kaum eine Rolle, Dirigenten und Sänger lernen sich oft erst von der Bühne herunter kennen.Das ist nicht mein Theater, nicht meine Art von Qualität." Ottenthal inszenierte als freier Regisseur das große Opernrepertoire von Mozart bis Wagner, ehe er an den Vereinigten Bühnen Wien Kontakt zur leichten Muse aufnahm.Als Stellvertreter von Generalintendant Peter Weck zeichnete er für Produktionen wie "Les Miserables", "Phantom der Oper" und "Elizabeth" verantwortlich: "Da denkt man endlich auch mal ans Publikum." In Aachen brachte er 1996 das Musical "Gaudi" mit der Musik von Eric Woolfson (Mitglied von "Alan Parsons Project") heraus.Das Haus ist voll, und in Köln soll die Show zum Dauerbrenner mutieren.Ein riesiger "Musical Dome" unweit des Kölner Domes wurde aus dem Boden gestampft.Man erwartete 700 000 Besucher im Jahr.Im Mai erlitt das Unternehmen Schiffbruch in bislang ungeklärter Millionenhöhe.Ottenthal hat das nicht gekratzt.Er war nur als Regisseur engagiert.Doch er bekennt: "Ich mag Leute, die ins Risiko gehen.Die haben meine Bewunderung." Eine gigantische Gala zu vierhundert Jahren Operngesichte scheiterte in Wien bereits vor der Premiere."Das hätte Spaß gemacht, auf einer 60-Meter-Bühne.Eine irrsinnige Herausforderung.Ich liebe solche Spektakel."

Obwohl er immer wieder "ja" sagen würde zum Risiko: Für seine Arbeit am Theater des Westen wäre Ottenthal bereit, vereinabarten Gast-Inszenierungen zu entsagen.Auch als Regisseur am eigenen Haus will er zunächst nicht auftreten: "Meine Kraft wird vorrangig woanders gebracht." Wie er das TdW in eine erfolgreiche Zukunft steuern will, darüber hüllt sich der Aachener Intendant wegen der laufenden Verhandlungen noch in Schweigen.In Berlin wird er fast doppelt so viele Sitzplätze füllen müssen wie in seinem angestammten Haus.Ob er da eher zu deutschen Uraufführungen oder internationalen Musical-Hits greift? "Ich hatte das Glück, mit einigen Uraufführungen große Erfolge zu erringen, zumindest beim Publikum", sagt Ottenthal zurückblickend."Das Potential im deutschen Musical gehört gefördert.Ich lese hier in Aachen jede Woche 3 bis 4 ernstzunehmende Bücher.Das Schwierige ist, eine gute Musik zu finden."

Mehr will der Kandidat noch nicht über seine Pläne für das Theater des Westen verraten.Erst muß verhandelt werden, das kann sich noch drei Wochen hinziehen.Weder das TdW, noch das Theater Aachen wollen mit Beginn der Spielzeit 1999/2000 schlagartig ohne Intendanten dastehen: Übergangslösungen müssen gefunden werden.Einfacher verlaufen wahrscheinlich die Etat-Verhandlungen: Er hätte "nicht einmal Angst, wenn das Geld noch knapper würde", hat Ottenthal einmal verkündet.Kultursenator Radunski hört es sicher gern.Und schon geistert durch das thaterkrisengeschüttelte Berlin ein neues Gerücht: Der Senator könnte Elmar Ottenthal womöglich gleich zum Chef über alle verwaisten Häuser machen, über Freie Volksbühne, Metropol Theater und Schiller Theater.Vom Aachener zum Berliner Generalintendanten? Ein mächtiger Schritt, ein gigantisches Spektakel, eine Riesen-Bühne.Ottenthal kann rechnen und er liebt das Risiko.Ob er auch "nein" sagen kann?

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