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Kultur: Der Muntergang

Frei nach Hebbel: Kriegenburgs „Nibelungen“ beim Berliner Theatertreffen

Im Theater ist immer Gedenken. Es braucht keine Jahrestage. In Mythen und Historien spielen die Toten tatkräftig mit. „Die Nibelungen“: lebende Tote, Wiedergänger. Untergänger.

Verblüffend, diese erste der beiden Inszenierungen von den Münchner Kammerspielen beim Theatertreffen (gegen Ende kommt noch Claudels „Mittagswende“). Fünfeinhalb Sterbestunden in der Volksbühne. Andreas Kriegenburg spielt (mit) Friedrich Hebbel, dem Heiner Müller des 19. Jahrhunderts. Kriegenburgs Coverversion ist kurzweilig und konzentriert. Und komisch. Eine schöne Überraschung: Der Holzhammerregisseur sampelt den deutschen Sagenschatz zu einer hochmusikalischen Reise in die Nacht.

Kriegenburg, dessen Karriere nach der Wende an der Berliner Volksbühne begann, hat eine erstaunliche Entwicklung durchgemacht. Auf seine „Nibelungen“ trifft das Wort Gesamtkunstwerk einmal zu. Ein Tanz-Musik-Theater. Und Kriegenburg ist sein eigener Bühnenbildner: der Hof zu Worms eine steinerne Designergruft mit High-Tech-Anlage, Etzels Hunnenburg nachher eine schief aufgehängte Ebene, von der die Helden in den Orkus verklappt werden.

Theatertreffen-Juror Peter Michalzik findet das alles sehr wichtig, sehr deutsch. Wenn Deutsch sein heißt, sich selbst bis aufs Blut zu verachten, hat er Recht. Doch das Großartige dieser Deutschstunden liegt in dem dramatischen Überschuss: So kann man griechische Tragödie spielen oder Shakespeares Königsdramen. So reichhaltig ist das Angebot der Assoziationen, dass man ein wenig an Luk Percevals legendäre „Schlachten!“ erinnert wird. Auch bei diesen „Nibelungen“ gehen die sprachlichen, stilistischen, zeitlichen Ebenen messerscharf ineinander über.

Pathos und Kalauer, Slapstick und tragische Pose. Nein: Wiebke Puls als Kriemhild dringt am Ende zu einer unersättlichen Trauer, zu einer RAF-gierigen Unerbittlichkeit, einer großen dramatischen Haltung vor, wie man es lange nicht erlebt hat. Deutsches Theater will ja gern auseinanderfieseln, sich distanzieren, neunmalklug sein und medienkritisch. All diese schönen, schrecklichen Sachen gibt es hier auch, aber intelligenter komponiert. Bernd Grawerts König Gunther: ein Nervenbündel. Hans Kremers Hagen Tronje: ein Cooler. Oliver Mallisons Siegfried: sympathischer Blender mit Fistelstimme. Memmen alle, die sich an ihrer eingebildeten Männlichkeit berauschen. Schwächlinge, die die Kraft der Frauen aussaugen. Julia Jentsch als Brunhild wird domestiziert wie ein Wolfskind. Und weggeworfen. Und Hildegard Schmahl, die Königsmutter, zelebriert mit fabelhafter Ironie den hohen Ton eines Theaters, das man nicht vermissen muss, wenn man solche Neutöner hat.

Im letzten Akt herrscht kunstvolle Strenge. Man hält sich mal wieder an Mikrofonständern fest. Und der Tod ist ein Tonmeister.

Rüdiger Schaper

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