zum Hauptinhalt
Perfekter Papa. Konrad (Charly Hübner) ist gerne Hausmann, doch dann will er in den Beruf zurück.

© Oliver Vaccaro/Kundschafter Film

Der neue Thalheim-Film: Sieben Tage Chaos

Ein ganz normales Familienleben: Der Berliner Regisseur Robert Thalheim erzählt in seinem Film „Eltern“ von eigenen Erfahrungen.

Die Idee für seinen neuen Film kam Robert Thalheim vor sechs Jahren, da wurde sein Leben mal eben komplett umgekrempelt. Auf dem Festival von Cannes war sein Auschwitz-Drama „Am Ende kommen Touristen“ gelaufen, mit dem er sein Studium an der Potsdamer Filmhochschule abgeschlossen hatte. Es gab viel Applaus und euphorische Kritiken. Aber Angebote für den nächsten Film? Die blieben erst einmal aus.

Außerdem war Thalheim gerade Vater geworden. Seine früheren Kommilitonen drehten damals weiter munter Filme, feierten rauschhafte Premieren. Und der Regisseur, der für ein Jahr in Elternzeit gegangen war, saß mit seinem kleinen Sohn im Sandkasten und plagte sich mit dem Gefühl, den Anschluss zu verpassen. „Da habe ich die Rolle wiedererkannt, die meine Mutter hatte, als sie viele Jahre zu Hause geblieben war. Wie würde es für mich weitergehen, wenn ich mich weiter um die Kinder kümmere und meine Frau macht Karriere? Wie fühlt man sich dann in dieser Rolle?“

Eine Schlüsselszene von „Eltern“ spielt auf dem nächtlich leeren, neonerleuchteten Flur eines Krankenhauses. Es ist der Showdown einer Ehe. Der Streit folgt einem alten Muster. Nur dass die Rollen vertauscht sind. Christine (Christiane Paul), die als Klinikärztin das Familieneinkommen verdient, wirft ihrem Mann vor, er rede „wie eine frustrierte Hausfrau in den fünfziger Jahren“. Konrad (Charly Hübner), ein Theaterregisseur, der in den letzten Jahren den Hausmann gespielt hat, kontert: „Dann bist du der passende Mann dazu, der Angst hat vor seinen Kindern.“

Christiane Paul und Charly Hübner spielen ein Paar, bei dem sich am allerkleinsten Alltagskinkerlitzchen der allerhässlichste Monsterstreit entzünden kann. „Eltern“ spielt in sieben Tagen, an denen ein Familiendesaster auf das andere folgt. Konrad, der sich um die Töchter Käthe und Emma gekümmert hatte, möchte zurück in seinen Beruf. Gerade haben die Proben zu seiner Inszenierung von Hebbels „Nibelungen“ begonnen. Aber Christine will zur Oberärztin aufsteigen, da muss sie Präsenz in der Klinik zeigen. Und das argentinische Au-pair, das zu Beginn der Handlung in Berlin landet, erweist sich als Problemfall. Sie ist schwanger.

Robert Thalheim erzählt von dem "Bermudadreieck zwischen Familie, Beruf und Beziehung

„Eltern“ zeigt das ganz normale Chaos des Familienlebens. Chaos kann ein Verhängnis sein – oder ein Geschenk. Robert Thalheim will „etwas über das Bermudadreieck zwischen Familie, Beruf und Beziehung erzählen“. Er kennt die Angst, in diesem Bermudadreieck verloren zu gehen. Neben seinem heute sechsjährigen Sohn hat er eine zweijährige Tochter, mit ihnen und seiner Frau, einer Übersetzerin und Dramaturgin, lebt er in Pankow. „Das männliche Ego zurückzustellen, das ist noch nicht so eingeübt“, erzählt Thalheim beim Interview im Büro seiner Filmpresseagentur am Prenzlauer Berg. „Alle sagen: Toll, dass du Kinderzeit machst. Aber da schwingt immer etwas anderes mit: Das scheint ja beruflich gerade nicht so gut zu laufen mit dem. Wenn der jetzt für so etwas Zeit hat.“

Robert Thalheim, 39, drehte bisher "Netto" (2004). "Am Ende kommen die Touristen" (2007) und "Westwind" (2011).
Robert Thalheim, 39, drehte bisher "Netto" (2004). "Am Ende kommen die Touristen" (2007) und "Westwind" (2011).

© dpa

Familien, das demonstriert „Eltern“, sind fragile Gebilde. Der Film pendelt zwischen Groteske und Melodram und dreht dabei immer weiter an der Eskalationsschraube. Das übliche Rollenmuster ist in dieser lässig-urbanen Kreuzberger Familie zwar umgedreht. Aber einfacher wird dadurch nichts. Weil keiner sich unterbuttern lassen will. Konrad, eben noch ein Mustervater, der Kuchen backt, Kindergeburtstagspolonäsen anführt und Gutenachtsketche aufführt, wird plötzlich zum Nestflüchter. Um endlich einmal keine Rücksichten mehr nehmen zu müssen, zieht er ins Theater.

Dort verstrickt er sich in Kämpfe mit den rebellierenden Darstellern und in einen Flirt mit seiner von Maren Eggert gespielten Bühnenbildnerin. Ein vom Alkohol befeuerter Amoklauf, bei dem er die Probebühne verwüstet, gerät dank Charly Hübners schauspielerischem Furor zur großartigen Slapsticknummer. Das aus Sperrmüllmöbeln zusammengepuzzelte Bühnenbild, das dabei zu Bruch geht, erinnert stark an die Berliner Volksbühne.

Robert Thalheim, 1974 in West-Berlin geboren, ist in den neunziger Jahren zu den Inszenierungen des Volksbühnen-Intendanten Frank Castorf gepilgert. Später hat er als Regieassistent am Berliner Ensemble gearbeitet und in Hannover sein eigenes Stück „Moschee DE“ inszeniert. Fürs Theater interessiert sich Thalheim immer noch. Aber sein Herz, das hat er damals bei den Proben gelernt, gehört dem Kino.

„Ich wünsche mir anspruchsvolles, großes Publikumskino, etwas, das selten geworden ist in Deutschland“, sagt er. Der letzte Film, der für ihn dieses Kriterium erfüllt hat, war „Good Bye, Lenin!“ Er kam 2003 heraus. Seither klaffe im deutschen Kino eine Lücke zwischen „platten Komödien und ambitionierten kleinen Autorenfilmen“. Seine Filmkarriere hatte der Rosa-von-Praunheim-Schüler 2004 mit der charmanten Low-Budget-Komödie „Netto“ gestartet.

Drei Kinofilme hat Thalheim danach gedreht – und mit jedem neuen Film versucht, die ungestüme, anarchische Ästhetik von „Netto“ hinüberzuretten in aufwendigere, stilistisch reifere Produktionen. „Es soll gut aussehen und trotzdem noch Freiheit ausstrahlen“, lautet sein Credo. Gerade inszeniert er seinen ersten Film, der nicht einem selbst geschriebenen Drehbuch folgt: einen „Polizeiruf“ für den RBB, der im April 2014 ausgestrahlt werden soll.

Die deutsche Geschichte, davon ist Thalheim überzeugt, bietet genug Themen, „die nicht nur etwas für TV-Eventfilme sind, sondern auch auf die Kinoleinwand gehören“. Im Sommer 2014 beginnt er mit den Dreharbeiten zu einer Agentenkomödie. Das Szenario führt west- und ostdeutsche Zeitgeschichte zusammen. Als Mischung aus Märchen und Satire – der BND reaktiviert noch einmal einen DDR-Spion mitsamt seiner alten Rentnergang. Der Arbeitstitel des Projekts lautet „Kundschafter“.

So heißt auch Thalheims vor zwei Jahren gegründete Produktionsfirma. In der DDR wurden Spione als „Kundschafter des Friedens“ gefeiert. Der Regisseur sieht sich eher als Pfadfinder. „Wir kundschaften das Leben aus, um darüber etwas zu erzählen.“

Blauer Stern Pankow, Cinemaxx Potsdamer Platz, Filmtheater am Friedrichshain, Kant Kino, Kulturbrauerei, Passage

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false