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Kultur: Der Oscar der Anderen

Erstmals wurde der Europäische Filmpreis in einer osteuropäischen Metropole vergeben – und der alte Kontinent entdeckte neue Kräfte

Der Hattrick ist fast perfekt. Dreimal in den letzten drei Jahren – nur 2005 zog mit dem französisch gedrehten „Caché“ der Österreicher Michael Haneke vorbei – ging der Europäische Filmpreis nach Deutschland: 2003 an Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin!“, 2004 an Fatih Akins „Gegen die Wand“ und nun an „Das Leben der Anderen“, den Erstlingsfilm des 33-jährigen Florian Henckel von Donnersmarck. Tusch! Dreimal Tusch! Oder, um es mit der vorherrschenden Beglücktheit mancher nach Warschau angereister Kulturverwalter zu formulieren: Als Deutsche können wir zufrieden sein.

Nicht stolz, sondern schlicht zufrieden – das ist fraglos die angemessenere Vokabel angesichts eines Wettbewerbs, der die Vitalität des europäischen Films und nicht den jeweils nationalen Korpsgeist feiern will. Auch wenn, Crux unseres Kleinstaaterei-Kontinents, sich der patriotische Kitzel gerade in solch völkerverbindende Institutionen wieder einschleicht.

Grobes Triumphgeheul also war nicht angesagt am Wochenende bei der 19. Gala der European Film Academy (EFA) in den nüchternen Ausstellungshallen der Warschauer Expo XXI. Wohl aber Spannung, und schließlich erlöste Überraschung wie nach einem Fotofinish: Schließlich hatte Pedro Almodóvars „Volver“ zunächst erdrückend geführt, bevor Ulrich Mühe beiläufig den Mitfavoriten „Das Leben der Anderen“ in Erinnerung brachte und der Regisseur seinen Drehbuchpreis mit fast schon finaler Bescheidenheit entgegennahm. Dann aber entriss der jungdynamische 2,05-Meter-Mann Donnersmarck dem großen Pedro Almodóvar, der mit „Volver“ den rundesten, zärtlichsten Film seines Lebens gedreht hatte, die Trophäe im letzten Augenblick, und ihm war, gestand er nachher bei der Mini-Pressekonferenz, „als hätten wir die Weltmeisterschaft doch noch gewonnen – naja, zumindest die Europameisterschaft“.

Eine spontane und schöne Freude, und dafür hatten die 1700 Akademie-Mitglieder mit geradezu salomonisch ausgleichender Gerechtigkeit gesorgt. Der mit „The Wind That Shakes the Barley“ fünfmal nominierte Ken Loach, einst bei den europäischen Oscars mit „Riff Raff“ und „Land and Freedom“ erfolgreich, hatte zuletzt Pedro Almodóvar die Goldene Palme von Cannes weggeschnappt. Almodóvar selber hat allerdings für „Alles über meine Mutter“ und „Sprich mit ihr“ auch schon zwei Euro-Filmpreise im Schrank – was lag da näher, als nun den jungen Deutschen auszuzeichnen, dessen Film die jüngste Berlinale nicht einmal ins Programm nehmen wollte?

Der Preis beweist’s: „Das Leben der Anderen“, abseits von Deutschland bislang nur in kleineren europäischen Ländern gestartet, wird zum international tauglichen Konsensfilm – und das ist umso erstaunlicher, als die Beschäftigung mit der DDR- und Stasivergangenheit zunächst als auch isolierendes deutsches Alleinstellungsmerkmal gelten könnte. Doch eben dieses Exklusivthema, „Good Bye, Lenin!“ machte es auf der komödiantischen Ebene vor, sorgt nun für grenzüberschreitenden Reiz. In den (mittel-)osteuropäischen Gesellschaften bringt es den Resonanzboden kollektiv gelebter Biografie ins Schwingen, und anderswo mobilisiert es die Erinnerung an eine durch Blöcke geteilte Welt. Insofern erzählt „Das Leben der Anderen“ als Film aus dem geografisch zentral gelegenen politischen Feldforschungsgebiet Deutschland eine eminent europäische Geschichte.

Auch wenn das DDR-deutsche Versöhnungswerk um den geläuterten Stasimann mit der faktischen Heiligsprechung eines Täters endet, der ein letztes Mal unter Druck indirekt mörderisch agiert; auch wenn der nach Hunderttausenden zählende Stasiapparat in der Realität keine einzige solche nun postdiktatorisch opportune Identifikationsfigur hervorgebracht hat: Das beklemmend authentische Setting des Films, die großartigen Darsteller mit dem glühend kalten Ulrich Mühe im dramatischen Zentrum und die ganz auf emotionale Ergiebigkeit zielende Wucht des Films reißen das große Publikum hin. Die 1,6 Millionen Zuschauer in Deutschland und der SiebenLolas-Durchmarsch beim Deutschen Filmpreis im Mai waren erst der Anfang. Auch die baldigen Filmstarts in Frankreich, England und vor allem den USA weisen auf eine umsichtige Verwertungsstrategie: Schließlich könnten die Oscars – „Das Leben der Anderen“, wer sonst, ist der deutsche Kandidat – neuen medial wirksamen Anlass zum Jubel hergeben.

Bemerkenswert war die Veranstaltung von Warschau allerdings aus weitaus nachhaltigeren Gründen. Die alljährlich zwischen Berlin und einer anderen europäischen Metropole wechselnde Zeremonie reiste erstmals ins ehemalige Osteuropa. Ein Glücksfall: Nicht nur machten die Polen als Gastgeber vor, wie man den üblichen dramaturgischen Pannen eines solchen Abends statt mit stoischem Weitermachen oder verbissener Witzelei auch mit ebenso eleganter wie intelligenter Selbstironie begegnen kann. Vor allem rückten sie die große polnische Filmtradition in den Mittelpunkt, als gelte es, ein Vermächtnis des unvergessenen Krzysztof Kieslowski einzulösen: „I hope that Poland is in Europe“, hatte er 1988 in Berlin gesagt, mit „Ein kurzer Film über das Töten“ der erste EFA-Preisträger überhaupt. Und tatsächlich, mit Irène Jacob und Julie Delpy hatten zwei Kieslowski-Darstellerinnen ihre Auftritte auf der Bühne, und Roman Polanski nutzte seine Ehrenpreis-Ovationen dafür, leidenschaftlich der Stadt Warschau zu danken, in der ihm „nur Gutes“ widerfahren sei.

Und vor allem: Er tat es auf Polnisch. Und Englisch. Und Julie Delpy sprach mal Französisch, mal Englisch. Ungarisch war zu hören, und auch Deutsch hätte, etwa aus dem Munde des Englisch parlierenden EFA-Präsidenten Wim Wenders, nicht gestört. Ja, das Film-Europa machte aus seinem Haupthandicap des Sprachenwirrwarrs einmal einen Trumpf. Es muss nicht immer bloß brav Englisch sein (in dem zudem die globalkulturelle Amerikanisierung immer mitklingt). Sondern jeder spricht – auch – die eigene Sprache, und, siehe da, alle verstehen alle.

Die lange Zeit als sehr kleine Schwester der amerikanischen Oscar-Academy belächelte EFA hat in Warschau – auch das breite Echo im führenden Branchenblatt „Variety“ deutet darauf hin – substanziell an Souveränität gewonnen. Und lässt ein Jahr vor den 20. Europäischen Oscars vom zumindest kulturell vereinten Europa träumen, ganz gegen die aktuelle politische Verkiezung des Kontinents. Von jener Heimat, die man als unbändiges Gefühl erst aus großer Ferne spürt, im Zurückkehren etwa im Flugzeug über Irland oder St. Petersburg. Als seien wir Flickenteppichbewohner erst in zweiter Linie in unseren Ländern zu Hause. In dritter in unseren Städten. Und erst in vierter in unseren so über alles geliebten Vierteln.

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