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Kultur: Der Patriarch

Bernd Neumann kommt – und mit ihm ein Paradigmenwechsel

Ins Berliner Bundeskanzleramt, das der große Oggersheimer einst eigentlich für sich und nicht für Gerhard Schröder hatte bauen lassen, zieht nun doch noch ein gewisser Kohl-Geruch ein. Bernd Otto Neumann, Merkels Kulturstaatsminister, ist ein langjähriger Freund des Altbundeskanzlers. Spendenaffäre hin oder her, Neumann hat stets zu Helmut Kohl gehalten. Im Januar 2002, als Neumann in einem Bremer Gasthof seinen 60. Geburtstag feierte, bedankte sich Ehrengast Kohl bei dem Jubilar für „seine Treue und noble Menschlichkeit“. Auch Angela Merkel gehörte zu den Gratulanten. Damals war die CDU-Chefin hauptsächlich damit beschäftigt, das Thema der Kanzlerkandidatur in der Öffentlichkeit zu vermeiden.

Neumanns Berufung kam spät: vielen Beobachtern zu spät. Da waren schon alle wichtigen Ämter der neuen Regierung verteilt und etliche Namen verbraucht. Man hat daraus geschlossen, dass Kultur bei der Kanzlerin Merkel eine nachgeordnete Rolle zu spielen haben wird. Das mag so kommen. Mehr aber noch verrät die zähe Kür über Merkels Kalkül: Mit Neumann hat sie nicht nur den Bremer Landesverband, dem der 63-Jährige seit 26 Jahren vorsitzt, eingebunden und bedient. Neumann gilt als einer der Garanten der seit 1995 regierenden großen Koalition im kleinsten Bundesland. Er ist Urgestein, seit über vierzig Jahren in der CDU. Kein Landesfürst der Union war je so lang im Amt wie der Patriarch Neumann, der wohl auch Entertainerqualitäten besitzt: Als Student der Pädagogik trat er mit Akkordeon und Fußpauke auf.

Mit dem Thema Kultur hätte Angela Merkel einen großen visionären Wurf wagen können. Sie entschied sich für eine, vorsichtig ausgedrückt, solide Besetzung. Dass die Bundeskanzlerin, die ihre Partei nach dem Spendenskandal und dem Ewigkeitskanzler Kohl erneuert hat, ausgerechnet für die Kultur und nur an dieser Stelle einen alten Kohlisten holt und belohnt, wirkt wie eine seltsame Pointe. Nach Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina Weiss, drei höchst unterschiedlichen Persönlichkeiten, die aus Kulturberufen kamen, zieht mit Neumann erstmals ein routinierter Parteipolitiker in das kleine Amt des Kulturstaatsministers ein. Das könnte im günstigen Fall bedeuten, dass die Bundeskulturpolitik in Zeiten allgemeinen Sparens einen in der (parlamentarischen) Gremienarbeit erfahrenen Sachwalter bekommt. Neumann – 1942 in Westpreußen geboren, Königsberger Klopse sind sein Leibgericht – ist aber auch zuzutrauen, dass er in der international heiklen Frage eines „Zentrums gegen Vertreibung“ eine Position einnimmt, die den Vertriebenenverbänden gefällt.

Als CDU-Obmann im Bundestagsausschuss für Kultur und Medien hat sich Neumann vor allem mit Letzteren beschäftigt – und mit filmpolitischen Fragen. So kommen jetzt, wenig überraschend, die wärmsten Grußworte für den neuen Kulturstaatsminister aus der bundesdeutschen Filmwirtschaft. Auch für die Lyrik hat der ehemalige Lehrer ein feines Ohr. 1977, auf dem Höhepunkt der Hysterie im Deutschen Herbst, protestierte Bernd Neumann, damals Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bremer Bürgerschaft, gegen die Verwendung eines Erich-Fried-Gedichts im Unterricht. So etwas sehe er lieber verbrannt, entfuhr es ihm damals. Auch wenn es lang her ist, fällt es schwer, diese Entgleisung als Jugendsünde eines Mittdreißigers abzutun. Ein umstrittener Auftritt Neumanns vor rechtsgerichteten Burschenschaften liegt zehn Jahre zurück.

Steht eine Kulturstaatsministerrevanche bevor? Ein Paradigmenwechsel kündigt sich jedenfalls an: Die große Koalition plant die Zusammenlegung von Bundeskulturstiftung und der Kulturstiftung der Länder, was auf Kosten der zeitgenössischen Kunst gehen dürfte. Bundeskulturpolitik war in den sieben rot-grünen Jahren vernünftigerweise vor allem auch: Hauptstadtkulturpolitik. Berliner Kandidaten hatten bei Merkel deswegen keine Chance. Die CDU tickt föderaler.

Neumanns Vorgänger sahen sich häufig mit zu hohen Erwartungen konfrontiert. Jetzt ist es umgekehrt: Der Neue muss erst einmal Befürchtungen zerstreuen. Nicht nur in Berlin.

Rüdiger Schaper

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