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Kultur: Der perfekte Sammler

Eine

von Marius Meller

Das teuerste Gemälde der Welt ist „Der Junge mit der Pfeife“ von Pablo Picasso. Es wurde für 104 Millionen Dollar versteigert. Wer das Gemälde gekauft hat, wissen nur zwei, drei Leute bei Southeby’s. Vielleicht wird sich der neue Besitzer irgendwann outen, vielleicht auch nicht.

In einer Zeitschrift konnte man immerhin das Foto des Wohnzimmers sehen, in dem das Bild ein halbes Jahrhundert lang hing: im Salon der Whitneys. An sich kultivierte Leute, die Whitneys, müsste man meinen: Mr. Whitney war Verleger der „Herald Tribune“ und Botschafter in London, seine Tante gründete das ehrwürdige Whitney Museum of American Art. Aber das Foto des Wohnzimmers, in dessen hinterer Ecke über einem Regal mit Nippes noch der Junge mit der Pfeife hängt, offenbart dem Kunstfreund die abstoßendste Geschmacklosigkeit: Hinter einer Flügeltür droht ein ausgestopfter Adler, plüschige Sitzgruppen mit aufreizenden Rosenmusterkissen geben dem Rosenblütenkranz des Jungen mit der Pfeife den brutalstmöglichen Kontext, ein NippesShakespeare lehnt sich in Denkerpose auf einen Bücherstapel aus Porzellan, und das Usambara-Veilchen auf dem rustikalen Beistelltisch ist zu bedauern, weil es sich so perfekt in das Horror-Szenario einfügt.

Der Kunstfreund fragt sich, ob es der Junge mit der Pfeife jetzt besser hat. Möglicherweise hat er es nun noch schlimmer. So träumt sich der Kunstfreund in die Vormoderne zurück, als die großen Gemälde zwar auch nicht öffentlich zugänglich waren, wenn sie nicht gerade in einer Kirche hingen, aber in den Empfangsräumen von Erzbischöfen oder Kurfürsten doch immerhin eine Umgebung hatten, die den geschmacklichen Prinzipien des Repräsentierens folgte. Oder der Kunstfreund kriegt einen Wutanfall und fordert die Verstaatlichung der Kunst.

Aber er irrt, der Kunstfreund. Er muss nur warten. Irgendwann, das ist sicher, wird der Junge mit der Pfeife von einem Sammler gekauft, der ein Museum für ihn baut und es den Kunstfreunden schenkt. So einer wie Heinz Berggruen, der eine Wohnung über seinem Museum hat und jeden Tag nach dem Aufstehen an den Gemälden vorbeischlurft und sie anspricht mit den Worten: „Guten Morgen, liebe Bilder, geht es euch gut? Ihr seht ja so verschlafen aus, aufwachen, los!“

Berggruen hat den Jungen mit der Pfeife übrigens nicht gekauft. Sein Arzt habe laut „Spiegel“ dem 91-Jährigen die Aufregung der Auktion verboten. Wenn er aber dabei gewesen wäre, sagt er, hätte er „60 Millionen geboten, mehr nicht“.

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