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Kultur: Der Professor als Rebell

Zum Tod des Provokateurs und Bestseller-Autors Dietrich Schwanitz

Nein, das sollte man auf einer Party besser nicht fragen: „Van Gogh, van Gogh, ist das nicht der Mittelstürmer der holländischen Fußballmannschaft, der bei der letzten WM dem deutschen Torwart das Nasenbein gebrochen hat?“ Da entgleisen die Mienen der Zuhörer, da entlarvt sich der Banause, da zittert die Luft im Raum. Dietrich Schwanitz liebte solche Beispiele. Und er brauchte sie, um Bildung zu definieren, zum Beispiel so: „Bildung ist die Fähigkeit, bei der Konversation mit kultivierten Leuten mitzuhalten, ohne unangenehm aufzufallen.“

Das Problem dabei: Im geselligen Rahmen unterliegt Bildung einem Thematisierungstabu. Es ist unangebracht, das Wissen des Gegenübers wie bei einem Quiz zu prüfen nach der Manier: „Wer hat den Dom von Florenz erbaut? Was, das wissen Sie nicht?“ Dieses Thematisierungstabu jedoch schafft laut Schwanitz „einen breiten Sumpfgürtel der Unklarheit darüber, was man als gebildeter Mensch wissen und was man nicht wissen muss“.

Schwanitz’ bekanntestes Buch, das 1999 monatelang die Spiegel-Bestsellerliste anführte, wollte genau darüber Klarheit herstellen. In „Bildung – alles was man wissen muss“ wollte der Professor „allen weihevollen Zinnober, alle Imponiereffekte und allen Begriffsnebel beiseite räumen“, das Bildungswissen einer „sprachlichen Massage unterwerfen“, um es neuen Schichten und Generationen zugänglich zu machen. Sprachliche Massage, das hieß: die Bildungsgüter der abendländischen Geschichte in neue Worte fassen, die teils erfrischend waren, stellenweise aber auch gewollt jugendlich. Viele Passagen des Buchs ähneln Lexikonartikeln, die man ebenso schnell liest, wie man sie wieder vergisst. Aber das Buch war dennoch mehr als nur ein verlegerischer Coup, weil es eine weit verbreitete Unsicherheit aufgriff.

Eine Unsicherheit übrigens, die Schwanitz selbst in seiner Kindheit empfunden haben muss: Als drittes Kind eines Lehrerpaars schickte ihn seine Mutter nach dem Krieg mit dem Roten Kreuz in die Schweiz, wo er drei Jahre als Hütejunge bei mennonitischen Bergbauern verbrachte. Wieder zu Hause, trat er ins Gymnasium ein, ohne richtig lesen und schreiben zu können. Sein Lehrer sah in ihm eine Art Kaspar Hauser, der hochbegabte Junge avancierte jedoch schnell zum Klassenbesten und studierte später Geschichte, Philosophie und Anglistik.

Der Elfenbeinturm, in dem sich die akademische Welt gerne verschanzt hält, hat mehrere Ausgänge. Dietrich Schwanitz hat sie alle durchschritten: Der Anglist und Shakespeare-Enthusiast, der von 1978 bis 1997 an der Universität Hamburg lehrte, sprach anders als die meisten seiner Kollegen auch zur breiten Bevölkerung. Er wagte sich in die Welt der Fiktion und schrieb Romane, leitete Creative-Writing-Kurse, gründete eine englischsprachige Theatergruppe an der Hamburger Uni . Und noch 2003, in seiner letzten Heimat, dem südbadischen Hartheim, eröffnete er ein „Zentrum für Kreative“.

Eine ungewöhnliche Gestalt unter den deutschen Professoren: polemisch, provozierend, eigensinnig. Aber auch, das geht ja oft zusammen, bisweilen besserwisserisch, ja geschwätzig. Schwanitz schrieb zwei Campus-Romane nach dem Vorbild der angelsächsischen campus novels. „Der Campus“ (1995) erzielte einen Überraschungserfolg und erreichte, auch in der Verfilmung mit Heiner Lauterbach unter Regie von Sönke Wortmann, ein Millionenpublikum. Die Geschichte des Soziologieprofessors Hanno Hackmann an der Uni Hamburg, der von einer Koalition der politisch Korrekten gejagt wird, liest sich gut, ist aber auch von Ressentiments durchzogen: gegen Frauenbeauftragte, Linke, schlampige Studenten, Gremienuni. Der Folgeroman „Der Zirkel“ (1998) galt als weniger gelungener Nachklapp.

1997 verließ Schwanitz den Elfenbeinturm endgültig, als er sich frühpensionieren ließ – zum Ärger vieler Kollegen, die glaubten, der Nestbeschmutzer wolle auf Staatskosten weiter Bestseller schreiben. Damals gab er als Grund eine Krankheit an, die nun offenbar zu seinem Tod geführt hat: Zuletzt lebte Schwanitz wegen seines Gebrechens – dem Nervenleiden Parkinson – zurückgezogen in Hartheim im Breisgau. Ein trauriger Tod: Der 64-Jährige, dessen Ehefrau und erwachsene Kinder anderswo leben, wurde erst nach Tagen in seinem Arbeitszimmer gefunden, ein Nachbar hatte die Polizei gerufen. Das bittere Ende eines eigenwilligen Lebens.

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