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Kultur: Der punknostalgische Effekt

Es ist wieder Juli. Irgendwie scheint es einleuchtend, den agonalen Technokarneval mit DAFs erstem Auftritt seit 1986 einzuleiten.

Es ist wieder Juli. Irgendwie scheint es einleuchtend, den agonalen Technokarneval mit DAFs erstem Auftritt seit 1986 einzuleiten. Nicht nur haben Gabi Delgado und Robert Görl mit ihren minimalen Elektroniknummern dem Techno einen frühen Pfad getreten. Vor dem Hintergrund der derzeitigen Electroclash-Welle klingt ihr Synthiepop plötzlich wieder einleuchtend. Das Casino ist dreiviertelvoll. Die erwartete Versammlung ehrwürdiger Gespenster ist es nicht geworden. Wenige angejahrte Szenepromis. Hier ein Regisseur, dort ein Ex-Spexredakteur, da schlurcht Westbam übern Hof. In der Halle junge Paradisten, Friedrichshainer Studenten, Medienjobber. Frisuren und Mode hängen dem Sound eine Dekade hinterher.

Gabi Delgado ringt mit der Technik. Dann stürzt er sich mit 10 Greatest Hits in den zweiten Frühling. Die Jungen kennen alles und jubeln. Gut hat er sich gehalten, das schwarze Hemd offen, die Frisur wie damals, an den Schläfen ausrasiert. Robert Görl sieht wie Meister Propper aus, lächelnd mit Glatze hinterm brusthohen Pult. Gut erhalten ist auch die Musik, obwohl der Sound matscht. Schwer zu erinnern, wie diese schicken Electroboogies einmal so neu und anders waren, kalt, bedrohlich, sexy. Wenn Gabi bei „Mussolini“ versuchsweise den Arm zum Nazigruss streckt, wirkt das dümmlich. Die subversive Geste von einst ist keine zeichentheoretisch gepufferte, antimoralische Provokation mehr, nur völlig bedeutungsleer. Ein punknostalgischer Effekt. Als die Leute „Der Räuber und der Prinz“ mitsingen, ist dem Titel auch die Homoerotik weitgehend ausgetrieben. Von Dringlichkeit ist die Aufführung so weit weg wie vom Faschismusverdacht. Danach Marusha. Es ist wieder Juli und Love Parade. Markus Schneider

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