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Kultur: Der Quereinsteiger

Von Basel nach Berlin: Michael Schindhelm wird erster Generaldirektor der Opernstiftung

„Es ist kein reines Loblied, aber wir haben die Fakten berücksichtigt und sind in der Summe zu einem positiven Votum hinsichtlich einer Berufung für den Posten des Generaldirektors gekommen.“ Am späten Dienstagnachmittag hat der so genannte Ehrenrat den Weg frei gemacht: Michael Schindhelm kann an die Spitze der Berliner Opernstiftung gewählt werden.

So kommt es vor Jahresende doch noch zur Ernennung eines Generaldirektors für die am 1. Januar 2004 kopflos geborene hauptstädtische Opernstiftung. Im Anschluss an die Veröffentlichung des Ehrenrats-Votums trat gestern der Stiftungsrat zusammen. Das Gremium, dem neben Münchens Opernchef Peter Jonas, RBB-Intendantin Dagmar Reim, der Kultur- und Finanzsenator sowie zwei Vertreter aus der Wirtschaft und ein Abgesandter des Personalrats angehören, entscheidet über die Vergabe des Postens. Nach einem ausführlichen Gespräch der Mitglieder mit Michael Schindhelm im Gebäude der Dresdner Bank am Pariser Platz stieg am Dienstag gegen 19.30 Uhr endlich weißer Rauch auf: Habemus papam.

Vorher hatte sich der honorige Ehrenrat (mit den DDR-Bürgerrechtlern Ulrike Poppe und Wolfgang Templin, dem Präsidenten des Berliner Abgeordnetenhauses, Walter Momper, und dem Schriftsteller Lutz Rathenow) intensiv mit der Stasi-Akte des derzeitigen Basler Theaterleiters auseinandergesetzt. Als Student im sibirischen Woronesch war Michael Schindhelm in den Achtzigerjahren von DDR-Geheimdienstmitarbeitern gedrängt worden, seine Kommilitonen auszuhorchen. Als Schindhelms Akte 2001 auftauchte, hatte sich der Kulturmanager bereits in Basel einer Überprüfung seiner Vita gestellt. Damals war er entlastet worden: Als IM sei er alles andere als ein gefügiger oder gar dienstbeflissener Informant gewesen. Er habe niemandem ernsthaft geschadet.

Dass das Berliner Gremium zu demselben Votum kommen würde, stand keineswegs von Anfang an fest. Waren die Gutachter in der Schweiz vom Theater-Verwaltungsrat benannt worden, so saßen diesmal Persönlichkeiten zusammen, die das DDR-System hautnah miterlebt hatten. Ein negatives Votum des Ehrenrats hätte automatisch das Aus für den letzten verbliebenen Kandidaten bedeutet – und damit einen Gesichtsverlust für Kultursenator Thomas Flierl.

Mit der Wahl zum Generaldirektor hat der gebürtige Thüringer Schindhelm im Alter von 44 Jahren den Höhepunkt seiner in jeder Hinsicht erstaunlichen Karriere erreicht: Ausgebildet als Naturwissenschaftler, wurde der promovierte Quantenchemiker nach einem Intermezzo als Hausmann zum Quereinsteiger im Kulturbetrieb: 1990 ging er ans Theater Nordhausen, zwei Jahre später nach Altenburg/Gera. 1996 folgte das Theater Basel, wo er gegen den Widerstand des bürgerlichen Publikums beharrlich einen anspruchsvollen Spielplan durchkämpfte. Dabei erwies sich Schindhelm als Intendant, der Künstlern viel Spielraum lassen kann: Sein Operndirektor Albrecht Puhlmann agierte so erfolgreich, dass ihm die Leitung des Opernhauses Hannover angetragen wurde.

Bittet man den vielseitig Begabten um eine Definition seines Berufsprofils, antwortet Michael Schindhelm: „Ich bin Theatermanager.“ Dass er außerdem Essays und Bücher schreibt, Filme dreht und als Übersetzer aktiv ist, behindere ihn nicht in seiner Arbeit als Kunstermöglicher, betont er gerne. Das hat der Komponist und Dirigent Peter Ruzicka auch immer behauptet: Staunend beobachtete man, wie Ruzicka neben den Intendanzen beim Berliner Radio-Symphonie-Orchester (heute DSO), der Staatsoper Hamburg und der Münchner Musiktheater-Biennale kreativ blieb. Dann wurde er 2002 Leiter der Salzburger Festspiele – und erklärte überraschend im März diesen Jahres, er werde seinen Vertrag nicht über 2006 verlängern, da er wieder vermehrt seiner künstlerischen Tätigkeit nachgehen wolle.

So einen Rückzieher nach kurzer Zeit darf sich Schindhelm nicht leisten. Nur wenn sich der Mann an der Spitze als absolut zuverlässig erweist, hat die Opernstiftung eine Chance, ihr Negativimage loswerden. Ausgestattet mit der höchst übersichtlichen Macht eines Bundespräsidenten, muss Schindhelm den Zusammenschluss von Deutscher Oper, Staatsoper und Komischer Oper nach außen als Zukunftsmodell verkaufen, bei offizellen Anlässen die Trias würdig repräsentieren, Kontakte pflegen, Politiker umgarnen. Und gleichzeitig immer das Motto aus Lehars „Land des Lächelns“ beherzigen: „Wie’s drinnen aussieht, geht keinen was an.“

Denn hinter den Kulissen walten Kirsten Harms, Peter Mussbach und Andreas Homoki weiterhin autonom. Jeder hat seinen eigenen Etat, jeder verfolgt seine künstlerische Linie, plant seine Premieren, wie er mag. Die Stiftung soll lediglich als schützendes Dach über den Aktivitäten der drei Häuser schweben, mit einem Generaldirektor, der nur in Notfällen diplomatisch vermittelnd eingreifen darf. Wie die Bundesländer dieser Republik, so werden auch die Chefs der diversen Stiftungsabteilungen streng darauf achten, dass hier keiner übervorteilt wird. Dieses komplizierte Konstrukt in eine rosigere Zukunft zu lenken, ist also ungefähr so mühselig wie die Reform des Föderalismus.

Wird der brillante Intellektuelle Michael Schindhelm uneitel genug sein, um sich dem Wohl der dreifachen Musiktheatersache unterzuordnen? Wird er trotzdem in der Öffentlichkeit als die eine Stimme der Opernstiftung auftreten können, wie es die Bundesregierung mühsam in der EU versucht? Man kann Michael Schindhelm nur wünschen, dass er sich nicht schon bald so fühlt wie der Protagonist seines jüngsten Films. Der trägt den Titel: „Das Kamel auf der Startbahn“.

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