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Kultur: Der Regulator

Heiß und kalt: Das DSO unter Tugan Sokhiev

Tugan Sokhiev ist jetzt in einem idealen Alter für das Deutsche Symphonie-Orchester: Als Ferenc Fricsay vor 65 Jahren den Chefdirigentenposten beim frisch gegründeten Rias-Orchesters übernahm, stand er in seinem 34. Lebensjahr. Als ihm Lorin Maazel nachfolgte, war dieser ebenfalls 34 Jahre alt. Wenn Tugan Sokhiev im Herbst 2012 offiziell sein Amt bei dem Ensemble antritt, das jetzt Deutsches Symphonie-Orchester heißt, wird er genauso alt sein.

Seit neun Jahren kennen die Musiker den Maestro aus Nord-Ossetien. 2003 fand sein Berlin-Debüt statt, da war Sokhiev 26, so jung wie Riccardo Chailly bei seiner ersten Begegnung mit diesem Orchester, dessen dritter Chef er 1982 werden sollte. Liebe auf den ersten Blick war es einst mit dem Italiener, und auch jetzt spürt man wieder den Zauber, der jedem Anfang innewohnt: Großartiges kann entstehen in so einer Atmosphäre gegenseitiger Neugier. Noch frischer, hellfarbiger als gewohnt wirkt der charakteristische DSO-Sound am Freitag in der voll besetzten Philharmonie, ungemein präsent, mit einer Lebendigkeit, die ganz aus dem Inneren kommt. Und Tugan Sokhiev zeigt, dass er genau weiß, wie man die Temperatur eines Klangkörpers reguliert, wo man Hitze zuführen sollte und wann es eines kühlenden Hauchs bedarf.

Durch ihren merkwürdig mäandernden Verlauf ist César Francks Sinfonie von 1888 ein ideales Vorführstück für diese Art atmosphärischer Interpretationskunst. Kaum, dass diese Musik einen Höhepunkt erreicht hat, zieht sie sich wieder in sich zurück, raunt ein wenig rätselhaft und nimmt dann erneut Anlauf. Mit intensivem Augenkontakt und unprätentiösen, zweckdienlichen Dirigierbewegungen macht Tugan Sokhiev aus dieser Berg- und Talfahrt eine überraschend kurzweilige Klangreise.

Recht unklar bleibt dagegen die Richtung im Kopfsatz von Chopins zweitem Klavierkonzert. Wo wollten der Dirigent und sein Solist Nikolai Tokarev bloß hin? Auf die Bühne! Im Larghetto entrollt das DSO also eine romantisch-altmodische Tondekoration: Waldlichtung im Mondschein, für das große Solo des Pianisten, grazil, schwerelos, berührend, bevor im Finale dann ein flinkfüßiges Corps de Ballet die virtuelle Szene entert. Jubel. Frederik Hanssen

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