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Kultur: Der Revisor kommt

Ioan Holender, der Direktor der Wiener Staatsoper, wird künstlerischer Berater der bald führungslosen Deutschen Oper Berlin

Der montägliche Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses hatte sich längst wieder aufgelöst, die Meldung lief längst über alle Agenturen, da wusste die Deutsche Oper noch immer nichts von ihrem Glück. Schicken Sie uns den genauen Wortlaut, bat die Sekretätin händeringend. Und Udo Zimmermann, Noch-Intendant des Hauses an der Bismarckstraße bis Sommer 2003, fiel vor Überraschung fast das Handy aus den Fingern: Zumindest dass er dem Berliner Kultursenator gegenüber seine „Bereitschaft“ signalisiert haben soll, mit Ioan Holender als neuem künstlerischen Berater der Deutschen Oper zusammenzuarbeiten, war Zimmermann nicht bekannt. Es ist also entweder schlechter Stil, die unmittelbar Betroffenen nicht vor der Öffentlichkeit zu informieren, oder es ist Taktik. Wir lenken die Geschicke dieses Hauses, so Thomas Flierls Botschaft, die im Blick auf die bevorstehende Opernstrukturreform gut und gerne als Drohgebärde verstanden werden kann – und als ein weiterer Schritt in Richtung Fusion der beiden großen Häuser. Im Übrigen sei die Verpflichtung Holenders auch mit Generalmusikdirektor Christian Thielemann „abgesprochen“ (der bezeichnenderweise im Mai 2003 mit Wagners „Tristan“ sein Debüt an der Wiener Staatsoper gibt).

Die Fakten: Ioan Holender wird „ab sofort“ künstlerischer Berater der Deutschen Oper Berlin. Dabei soll Holender laut Flierl die von Zimmermann getroffenen Dispositionen „kontrollieren und gegebenenfalls umsteuern“. Auch davon allerdings wusste Zimmermann nichts. Er stünde – jenseits aller unterschiedlichen Auffassungen im Künstlerischen – mit Holender schon lange in „freundschaftlichem Kontakt“. Ansonsten seien die Spielpläne der Deutschen Oper bis Ende der Saison 2003/04 unter Dach und Fach, darunter, immerhin, Michael Thalheimers Debüt als Opernregisseur und die Uraufführung eines Auftragswerks der in Berlin lebenden Komponistin Isabel Mundry. Holenders Engagement könnte also allenfalls ab 2004/05 greifen, wollte er durch das Auflösen bereits bestehender (dem Regierenden Bürgermeister wie ihm persönlich eventuell unliebsamer) Verträge nicht weitere Kosten verursachen und den Imageverlust Berlins als Opernstadt nicht weiter berschleunigen. Gemessen an den Praktiken der Branche allerdings sind zwei Jahre keine Zeit, Holenders Pläne in Wien reichen schon jetzt bis 2006. Udo Zimmermann jedenfalls sieht in der ihm verbleibenden Zeit keinerlei Kompetenzstreitigkeiten auf sich zukommen: „Mich braucht Herr Holender nicht zu beraten.“

Auf dem Papier (und von diesem ist Thomas Flierl notgedrungen ausgegangen) spricht mindestens so viel für Ioan Holender wie gegen ihn. Der Mann hat ein paar Semester Maschinenbau studiert und anschließend als Tennistrainer, Sänger und Agent gearbeitet – er ist also beweglich. Er ist 67 Jahre alt – und hat also Erfahrung. Er leitet die Wiener Staatsoper allein verantwortlich seit 1992 und noch bis 2007 – und bricht damit sämtliche Ausdauerrekorde im Haus am Ring (weder Gustav Mahler noch Herbert von Karajan wurden hier länger gelitten). Und er gilt als ausgesprochener „Sparefroh“, der angesichts mitarbeiterlicher Taxirechnungen schon einmal einen Tobsuchtsanfall riskiert. Außerdem kennt Holender, der bereits vom damaligen Kultursenator Christoph Stölzl in ein Beratergremium zur Opernstrukturreform 2000 berufen wurde, die Berliner Situation – und war stets ein offensiver Befürworter des großen Fusionsmodells.

Die Nachteile: Holender steht keinesfalls für so etwas wie Aufbruch oder Zukunft. Mag sich die Wiener Staatsoper seit geraumer Zeit auch mit Regisseursnamen wie Wernicke, Neuenfels oder demnächst gar Konwitschny schmücken – mehr als müde Alibiübungen für ein beispiellos verstaubtes und verschlamptes Repertoire sind dies nicht. Darüber vermag auch die touristisch glänzende Auslastung des Hauses von mehr als 90 Prozent nicht hinwegzutäuschen.

Mit Holender werde sich die Deutsche Oper, so Flierl, für die geplante Reform „als gut aufgestelltes Haus positionieren“. Das klingt wie blanker Zynismus – und passt zu einer weiteren Meldung des Tages: Der Bund nämlich wird nach Einschätzung des SPD-Bundestagsabgeordneten Eckhardt Barthel keine der drei Berliner Opern übernehmen. Er werde jedoch – wie schon Christina Weiss erklärte – eine Strukturreform finanziell unterstützen, sofern der Kultursenator endlich „seine eigenen Vorstellungen“ präsentiere. Andernfalls, so fürchtet Barthel, würde der „in den Sand gesetzte ,Figaro’ dem Kanzler angelastet“. Politik ist, für Kultur bloß kein Risiko zu übernehmen. Oder?

Christine Lemke-Matwey

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