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Der Rias Kammerchor sang unter der Leitung des lettischen Dirigenten Sigvards Kļavabei in der Berliner Gedächtniskirche

© Fabian Schellhorn

Der Rias Kammerchor singt in der Gedächtniskirche: Vom Wert der Wurzeln

Im Rahmen der Philharmoniker-Biennale beeindruckt der Rias Kammerchor in der Berliner Gedächtniskirche mit Vokalwerken bedeutender ungarischer Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Von Tye Maurice Thomas

Wer hätte gedacht, dass die ungarische Chormusik des 20. Jahrhunderts an einem Dienstagabend solchen Andrang hervorriefe! Die Schlange an der Gedächtniskirche windet sich die Treppe herunter und mehrfach um das Gebäude herum. Die umständliche Ticketkontrolle hat zur Folge, dass das Konzert mit einiger Verspätung beginnt und die meisten Menschen die Einführung verpassen.

Mit Béla Bartók, Zoltan Kodály und György Ligeti widmet sich der RIAS Kammerchor drei Meistern der neueren ungarischen Musik. Unter der Leitung des lettischen Dirigenten Sigvards Kļava erklingen ausschließlich a cappella-Kompositionen, als Gesang ohne Instrumentalbegleitung.

Ungarischer Volkston

Alle drei Komponisten waren in ihrem Schaffen wesentlich von der Volksmusik ihrer Heimat beeinflusst und betrachteten sie als Ausgangspunkt einer ungarischen Nationalmusik. Folgerichtig erklingen im ersten Teil Volksliedbearbeitungen und Kompositionen im Volkston. Der RIAS Kammerchor meistert die schwierige Aussprache des Ungarischen, das in Konzerten selten zu hören ist.

Im Zentrum des Konzerts steht das Chorwerk György Ligetis, der in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hätte. Auch in Ligetis Frühwerk „Idegen földön“ (In der Fremde) für Frauenchor und dem dreistimmigen „Magány“ (Einsamkeit) klingen Einflüsse der Volksmusik an.

Hohe Präzision

Die erste Hälfte des Programms wirkt dadurch auf die Dauer etwas eintönig. Da das Programmheft leider keine Übersetzungen der Gesangstexte enthält, bleibt der Inhalt der Lieder verschlossen. Klanglich unterscheiden sie sich kaum – Ligeti selbst sollte später diesbezüglich von seinem „Bartók-Nachfolgertum“ sprechen. Einen reizvollen klanglichen Kontrast hätten beispielsweise Bartóks schwungvolle „Vier Altungarische Volkslieder für Männerchor“ ergeben.

Schon in seiner Jugend war er in mehrfacher Hinsicht ein Fremder: als Ungar in Rumänien, als Jude unter Christen, als Intellektueller in der Provinz.

Dramaturg Malte Krasting über den Komponisten György Ligeti

Nach der Pause wird es bei der Chorkantate „Jézus és a kufárok“ (Jesus und die Krämer) wesentlich lebendiger. Kodály, ein Freund Bartóks, vertont in dem 1934 entstandenen Werk die biblische Geschichte der Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Die Sänger:innen des RIAS Kammerchores, im gewohnt homogenen Chorklang, musizieren das ausdrucksstarke kontrapunktische Werk mit hoher Präzision und reizen die dynamischen Kontraste voll aus.

Den Höhepunkt des Abends bildet György Ligetis „Lux Aeterna“, ein Klassiker der modernen Chorliteratur, der durch Stanley Kubricks „2001:Odyssee im Weltraum“ sogar zu Filmmusik wurde. In verschachtelten Rhythmen schichtet Ligeti 16 Gesangsstimmen in Halbtonschritten übereinander. So entstehen an das Summen eines Bienenstocks erinnernde Klangflächen, die anschwellen und verebben. Nach etwa zehn Minuten verklingt das Werk so leise, wie es begann; für einen Moment scheinen Zeit, Raum und Klang verschmolzen.

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