zum Hauptinhalt

Kultur: Der Riss in uns

Eine Katholikin, ein Muslim – und ihre stürmische Beziehung

Wie die Liebe anfängt: aus einem Nichts. Roisin, Musiklehrerin an einer katholischen Oberschule in Glasgow, übt gerade mit einer Schülerin für einen Gesangswettbewerb. Ein trüber Vormittag, Roisin am Klavier, das Mädchen singt. Der Pakistani Casim will seine kleine Schwester Tahara von der Schule abholen, aber weil die halbwüchsigen Mitschüler sie beschimpfen und bespucken, rennt Casim den Pickeljungs wütend hinterher, bis in den Musikraum der Schule. Es ist jetzt wirklich nicht die Zeit für die Liebe. Aber da ist ein Blick im Vorbeirasen, ein Leuchten, nur Roisin und Casim haben es gesehen. Und alles fängt an.

Wie die Liebe aufhören könnte: plötzlich in ein Nichts hinein. Gerade haben Roisin und Casim zwei Tage in Spanien verbracht, glückselig, zweisam abgetaucht vor der Welt, da sagt er ihr, sehr beklommen, dass er eine Kusine heiraten soll demnächst, aus Pakistan wird sie eingeflogen, und er kennt sie gar nicht. Und Roisin, die mit Casim in ein tiefes, lustvolles Lieben Hineingeratene, packt sofort ihre Sachen – ach, war ich nur das Vergnügen davor? – und schließt überm Gesicht das Alltagsvisier. So könnte das aufhören, Liebe auf den letzten Blick, Schluss aus, nur raus aus deinem Leben von einer Sekunde auf die andere.

Keine Sorge, es kommt nicht so. Es kommt aber auch vielleicht nicht ganz umgekehrt, schließlich ist „Just a Kiss“ kein Hochzeitsfilm. Eher ein Hochzeitsvorbereitungsfilm. Einer, der von vereitelten und vielleicht irgendwann möglichen Hochzeiten erzählt. Oder auch davon, dass es aufs Heiraten vielleicht gar nicht ankommt im Leben, sondern aufs Lieben. „Just a Kiss“, wie Ken Loachs neuer Film außerhalb seiner britischen Heimat heißt, ist nicht: bloß ein Kuss. Sondern vielmehr – und so hieß er auf der Berlinale, die er zu ihrem Ende hin überstrahlte – „Ae Fond Kiss“: ein inniger, zärtlicher Kuss. Und erleuchtet nun dieses düstere Jahr, als seine schönste Kino-Liebesgeschichte.

Kann schon sein, dass sie ein bisschen papieren wirkt, die von Loachs langjährigem Drehbuchautor Paul Laverty erdachte Konstellation. Die Story vom sanften Casim (Atta Yaqub), der zwischen einer traditionsbewussten älteren Schwester und der ziemlich ausbruchswilden jüngeren einen untauglichen Mittelweg probiert: sich bloß wegduckend unter der wiederum der pakistanischen Community verpflichteten Autorität der Eltern. Und andererseits Roisin, irische Katholikin, die sich in der Rebellion gegen die muslimische Regelwelt ihres Geliebten auch gegen die Riten ihrer eigenen Kirche zu wehren lernt. Die Liebe als Freiheitsflamme gegen den Fundamentalismus jedweden Glaubens: Aber ja, darüber könnte man auch einen filmischen Leitartikel drehen.

Aber das lebt. Und ist konkret, in jeder Sekunde. Der Culture Clash ist hier kein Begriff, sondern er passiert. Er haut Casim und Roisin um und macht sie stärker, von Krach zu Lachen zu Streit zu Versöhnung zu Sex zu Glück zu einer Entschlossenheit der fast selbstironisch vorsichtigen Art. Ken Loach hat nicht einfach ein Drehbuch verfilmt, sondern, wie es seine Art ist, seine Schauspieler miterfinden, die Geschichte ins vielstimmig Wirkliche vorantreiben lassen. Seine Figuren sind Menschen, wie wir sie zu kennen meinen: nicht böse, sondern in ihren Lebensmustern gefangen. Niemand wird denunziert. „Just a Kiss“ zeigt nur die Risse, die durch die Menschen gehen.

Aus solchem Material hat Ken Loach Tragödien gemacht, Geschichten von nicht eigentlich schuldigen Menschen, deren Welt einstürzt – und mit ihnen die Gesellschaft angeklagt. Andere Regisseure in unseren globalisierten Städten und Ländern setzen eher auf die muntere Culture-Clash-Komödie, aufs Ventil fürs Zielgruppenpublikum. Loach drehte mit „Just a Kiss“ nun weder das eine noch das andere, sondern ein sehr vorsichtig hoffnungsvolles Gesellschaftsbild – und seinen hellsten Film seit langem. Eva Birthistle als Roisin ist eine Wucht, ruppig und zart, und auch Atta Yaqub, als ihr durchdringend sanftes Pendant, ist in seiner ersten Kinorolle ideal besetzt. Man sieht der wunderbar explosiven Chemie zu, die die beiden vereint und trennt und wieder vereint und wünschte, die Welt wäre so, dass sie unbesorgter in ihr leben können. Sie ist es nicht. Sie wird es nur, durch Leute wie sie selber.

Broadway, FT Friedrichshain, Kant, Kulturbrauerei, Neues Off; OmU Hackesche Höfe und Babylon Kreuzberg

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false