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Berliner Museumsstreit: Der Schatz vom Bildersee

Alte Meister, Neue Meister: Ein Hausbesuch beim Sammlerpaar Heiner und Ulla Pietzsch, das mit einer Schenkung die Berliner Museumslandschaft in Bewegung gebracht hat.

Ein traumschöner Blick in den Garten, das Schilf am Seeufer bewegt sich sanft im Wind, dazu drehen die nahe am Wasser platzierten abstrakten Skulpturen ihre metallenen Arme. Natur und Kunst im einvernehmlichen Nebeneinander. Im Haus verkehrt sich das Verhältnis: weiße Blumen auf Tischen und Podesten, doch dominieren die Bilder. Picasso, Magritte, Tanguy, Dalí, Max Ernst hängen hier dicht an dicht. Ein paradiesischer Zustand für Kunstliebhaber, ein Haus für Bilder in schönster Harmonie mit dem Außen. Hier müssen glückliche Menschen leben. Gäbe es nicht seit diesem Sommer Querelen um die exquisite Kollektion von Ulla und Heiner Pietzsch.

Der Zorn, die Enttäuschung ist ihm anzusehen, wie sich der Hausherr im gemusterten Sofa zurücklehnt, den Blick wenig besänftigt auf sein Lieblingsbild gerichtet, einen großformatigen Miró der braunen Periode aus den Anfängen seiner Pariser Zeit. „Es ist das letzte von 15 Werken dieser Phase in Privatbesitz“, wird der Sammler später mit Stolz erklären. „Erst vor wenigen Wochen wurde ein Exemplar der Serie für 25 Millionen Dollar versteigert.“ Ulla Pietzsch teilt die Verstimmung ihres Mannes nur bedingt. In ihrem weißen Hosenanzug beugt sie sich aufmunternd lächelnd nach vorn. Sie bleibe optimistisch, sagt sie mit gelassener Bestimmtheit. Doch hatten sich beide wohl kaum vorgestellt, dass ihnen ihre großzügige Gabe so vergällt werden könnte.

„Noch einmal würde ich diese Schenkung nicht wiederholen“, erklärt der 82-Jährige bitter. Hundertfünfzig Werke im Wert von damals geschätzten 120 Millionen Euro hatte das Sammlerpaar vor zwei Jahren dem Land Berlin vermacht, das sie den Staatlichen Museen übergibt, sobald zwei Vertragsbedingungen erfüllt sind: der Tod des kinderlosen Paares, das so lange wie möglich noch mit seinen Bildern leben will, und die Gewährleistung einer öffentlichen Präsentation, zumindest in signifikanten Teilen. Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann, der den Deal eingefädelt hatte, durfte sich im Glück fühlen, denn damit würde sich auf einen Streich die Surrealismus-Lücke schließen lassen, die von den Nationalsozialisten gerissen wurde. Die Staatlichen Museen brachte dies gleichwohl in Zugzwang, denn schon heute ist aus Platzmangel im Mies-van-der-Rohe-Bau nur ein Drittel des Bestandes zu sehen. Ab 2015 wird sogar komplett abgeräumt, wenn die gealterte Architekturikone endlich restauriert wird.

Der bereits Ende der neunziger Jahre gefasste Plan, die Alten Meister auf die Museumsinsel ins Bode-Museum und einen noch zu errichtenden Erweiterungsbau in unmittelbarer Nachbarschaft umziehen zu lassen und dafür in der frei gewordenen Gemäldegalerie am Kulturforum das seit jeher in Berlin fehlende Museum des 20. Jahrhunderts zu gründen, bekam neuen Schwung. Eine ganz eigene Dynamik aber erhielt die Idee einer Museumsrochade durch die überraschend vor der Sommerpause vom Haushaltsausschuss des Bundestages genehmigten zehn Millionen Euro für den Umbau der Gemäldegalerie. Die Moderne dränge die Alten Meister ins Depot ab, hieß es plötzlich. Skandal! Ausgerechnet eine Privatsammlung dient als Hebel für die Neuordnung einer ganzen Museumslandschaft.

Plötzlich stand das Ehepaar Pietzsch im Kreuzfeuer. Zunächst als großzügige Spender gefeiert, fühlte es sich nun in die Rolle des Buhmanns gedrängt. Gleichwohl gibt sich Heiner Pietzsch trotzig: „Wenn unsere Schenkung am Ende dazu führt, dass wir eine Galerie des 20. Jahrhunderts bekommen, dann bin ich zufrieden.“ Als Mitbegründer des Vereins der Freunde der Nationalgalerie und deren langjähriger Schatzmeister wusste er immer um die Nöte eines Museums der Moderne in Berlin und hat nicht zuletzt gezielt dafür gekauft. Der Geschäftsmann, der sein Vermögen mit Baustoffen machte, hat wenig Verständnis für den jetzt erklärten Kulturkampf zwischen Alt und Neu. Wer die Alten Meister wirklich liebt, der müsste weniger für ihren Verbleib am Kulturforum als für den Neubau auf der Museumsinsel kämpfen, ist er überzeugt. Kopfschüttelnd registriert er, für wie viele die Kunstgeschichte mit dem Jahr 1900 endet.

Wie sich die Gemäldegalerie dagegen mit Werken der Moderne machen würde, hat dem Sammlerpaar bereits Peter- Klaus Schuster als damaliger Generaldirektor und spiritus rector der Rochade vorgeführt. Bei einem seiner Besuche brachte er einen 4 mal 2,50 Meter großen Grundriss mit, auf dem die Werke der Neuen Nationalgalerie darin bereits verteilt waren. Zwei, drei Säle wären dem Surrealismus gewidmet, vornehmlich aus den Beständen der Kollektion Pietzsch. Wer heute in Zweifel zieht, ob es die Sache wert ist, hat vor drei Jahren die große Ausstellung „Bilderträume“ in der Neuen Nationalgalerie verpasst, Kittelmanns Einstand im Mies-van-derRohe-Bau. Damals wurde das gesamte Untergeschoss für die über fünf Jahrzehnte verfeinerte Sammlung freigeräumt, eine Offenbarung für das Berliner Publikum, das kaum um den Bilderschatz in seiner Nähe wusste.

Den meisten waren bislang nur Einzelbilder bekannt, die das Haus im Grunewald als Leihgaben verließen. Gerade ist Picassos „Arabesken-Frau“ von einer Ausstellung in München wieder zurückgekehrt, jetzt hängt die Schöne in Grisaille wieder an ihrem Platz neben dem Kamin, direkt beim geliebten Miró. Schon gibt es die nächsten Anfragen für die begehrte Dame, diesmal vom Guggenheim-Museum in New York und aus Houston. Sie so schnell wieder ziehen zu lassen, falle schwer, gesteht der glückliche Besitzer ein. Allein Wien und Basel hätten gerne sechs Werke von Max Ernst, dem Zentralgestirn der Sammlung, seit einer persönlichen Begegnung mit dem Künstler Anfang der siebziger Jahre in der Galerie Brusberg in Hannover.

„Meine Frau blickte Max Ernst damals tief in seine blauen Augen“, gibt Heiner Pietzsch zum Besten und verrät damit einiges vom Dilemma eines Privatsammlers, der persönlich an jedem einzelnen Bild hängt, um das Abenteuer seiner Erwerbung weiß und sich in diesem Fall auch kunsthistorisch bestens auskennt. Als echte Connaisseure kaufte das Paar auch die Magazine und Schriften der Surrealisten. Dazu kommt jenes einmalige Konvolut an frühen Zeichnungen der Abstrakten Expressionisten, das den großen Einfluss der europäischen Emigranten auf die jungen US-Maler verrät. Auf diese Weise haben auch Mark Rothko, Barnett Newman, Jackson Pollock, Robert Motherwell, Ad Reinhardt und Franz Kline Eingang in die Sammlung gefunden. Nur Clifford Still, der sprengte bislang den finanziellen Rahmen. Hoch im Alter haben Ulla und Heiner Pietzsch einen unvergleichlichen Bilderberg um sich angehäuft, von dem sie sich einerseits nur ungern trennen mögen, für den sie andererseits eine Bleibe finden müssen. Ihre Erben, ein Neffe und eine Nichte, würde diese Aufgabe wegen der hohen Versicherung finanziell überfordern, die Sammlung wäre innerhalb kürzester Zeit auseinandergerissen.

„Ein eigenes Haus haben wir nie gewollt“, stellt Pietzsch gleich klar, er sieht die Sammlung eher im Kontinuum eines großen Moderne-Museums. Die Papierarbeiten der Sammlung werden an das Kupferstichkabinett gehen, die Fotos ins Fotomuseum, das ist schon jetzt geklärt. Außerdem weiß er um die stetig abnehmende Publikumsgunst bei den Sammlermuseen, sobald die erste Neugierde gedeckt ist. Heinz Berggruen bilde allerdings eine Ausnahme, darauf legt er als Sammlerfreund Wert: durch seine besondere Geschichte als Jude, der sein Land über die Hintertreppe verlassen musste und zur Vordertür mit Bildern wieder hereinkommt. „Dass er dafür Geld kriegt – warum nicht? Uns hat der Staat nichts angetan.“ Deshalb wolle er seine Sammlung schenken und verlange kein Geld. Nicht einmal auf die Verewigung seines Namens am Eingang eines Galeriesaales lege er Wert. Ulla Pietzsch wiegt dagegen bedächtig den Kopf. Ihr ist das nicht ganz egal, zumal wenn anderen Gönnern der Nationalgalerie, Marx, Marzona, Flick, diese Ehre zuteil werden würde.

Bis jene Buchstaben in Stein gemeißelt sind, dürfte allerdings noch viel Zeit vergehen. Derweil muss das Ehepaar fremden Besuchern, die bei ihnen im Grunewald an der Tür klingeln und die Bilder sehen wollen, eine Absage erteilen: „Dies ist kein Museum.“

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