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Der Festsaal von Schloss Wernigerode, eingedeckt mit Geschirr aus dem Besitz Wilhelms II.

©  Bernhard Schulz

Das Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg: Der schöne Schein

Die Ausstellung "Pomp and Circumstance" auf Schloss Wernigerode im Harz beleuchtet die Welt von gestern: das Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg.

Natürlich muss eine Ausstellung, die unter dem Titel „Pomp and Circumstance“ das Deutsche Kaiserreich und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beleuchten will, mit den Klängen des ersten der „Militärmärsche“ eröffnet werden, den Edward Elgar 1901 zum Ruhm des Empire komponiert hat. So geschah es auf dem Schloss hoch über Wernigerode, der Fachwerkstadt am Osthang des Harzes, und ausgerechnet in der Schlosskapelle, die als einziger Raum genügend Platz für Musiker und Publikum bot. Schmissig, so würde man die Interpretation genannt haben zu jener Zeit, da Militärmärsche das Publikum jedes Kurortes erfreuten. Schmissig auf ihre Weise ist auch die Ausstellung, die der langjährige Kurator der Wechselausstellungen auf Schloss Wernigerode, Christian Juranek, mit 500 „Realien“, also Objekten unterschiedlichster Art und Bedeutung zusammengestellt hat. Sie befindet sich am goldrichtigen Ort, ist doch Schloss Wernigerode in seiner heutigen Erscheinung ein Produkt des wilhelminischen Historismus der 1880er Jahre, als sich für Fürstensitze eine Stilmischung aus Spätgotik im Äußeren und deutscher Renaissance – „Dürerzeit“ – im Inneren ausprägte, wie auch bei Burg Hohenzollern in der gleichnamigen preußischen Enklave in Württemberg.

Schloss Wernigerode ist der Besuchermagnet der Stadt, rund 200 000 pro Jahr wandern zum Schlossberg. Mit der Ende Juli eröffneten Ausstellung ist das Schloss auf der Höhe seiner nach der Wende gefundenen Aufgabe, ein „Zentrum für Kunst- und Kulturgeschichte des 19. Jahrhunderts“ zu sein. „Pomp and Circumstance“, zu übersetzen mit „Glanz und Gloria“, ist ein Titel, der zu Materialfülle auffordert. Die denn doch arg kleinen Räume des Schlosses – die Fürsten lebten, berücksichtigt man die Entourage, recht beengt – quellen über vor wilhelminischem Nippes, Schiffsmodellen, Uniformen. Aber auch vorm Gegenpart, den herrlich bissigen „Simplicissimus“-Titelblättern, Gemälden von Hans Baluschek, Zeichnungen von Heinrich Zille sowie, vielleicht die größte Trouvaille, einer „Militärkiste des Musketiers Karl Schröder für den Einsatz in China“. Der einfache Soldat aus Wernigerode, 1900 zum Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstands nach China abkommandiert, brachte die Kiste mit seinen Habseligkeiten nach Hause: Tabakspfeife, Erinnerungsfahne, einige chinesische Souvenirs wie Fächer oder Schriftrollen. Nach wie vor ist dieses unscheinbare und doch so kostbare Stück im Besitz der Nachfahren.

Mehr sein als scheinen

Schräg gegenüber hängen Schriftrollen an der Wand, über zwei Meter lang und beschrieben in chinesischen und mandschurischen Schriftzeichen auf kaiserlichem Gelbgrund: „Sühneadressen“ des 1901 besiegten Mandschukaisers an den „Kaiser des Großen Deutschen Kaiserreichs“. Doch das kleine Soldatenkistchen genügt, den offiziellen Prunk optisch auszutarieren. Immerhin liegt die Gefahr nahe, mit den Vorzeigeobjekten der neureich daherkommenden Epoche Wilhelms II. genau jenes schiefe Bild zu reproduzieren, das diese bereits nach den Mechanismen ihrer medialen Verbreitung handelnde Aristokratie von sich entwarf. „Mehr sein als scheinen“, diese altpreußische Devise verwandelte sich im aufstrebenden deutschen Industriestaat in „Blenden ist alles“. In ein Kostümfest, den „Berliner Fasching“, den der „Simplicissimus“ in Zeichnungen von Th. Th. Heine oder Bruno Paul gnadenlos sezierte. Aber nicht nur die als überlebt empfundene Monarchie karikierte das Blatt, auch die entstehende Kunst der Moderne: Das Titelblatt „Von der Ausstellung der Futuristen“, gemeint ist die skandalisierte Ausstellung „Der Sturm“ von 1912, nimmt Flottenrüstung und Kanzler Bethmann Hollweg in den splitternden Formen des Futurismus aufs Korn.

Und ebenso die Ordenssucht, die unter Wilhelm II. grassierte. Der Journalist Maximilian Harden, der des Kaisers liebsten Hofschranzen „Phili“ zu Eulenburg-Hertefeld zu Fall brachte. schrieb 1908: „Der Lorbeer hängt heute niedrig und der Spaziergänger kann leichte Kränze bequem erreichen.“ Zweifellos eine Anspielung auf die mit Kopfschütteln quittierte Verleihung des Schwarzen Adlerordens an Philipp zu Eulenburg.

Das Ende der Monarchie

Aber die Ordensseuche grassierte weiter, bis zum allerletzten Tag der Monarchie. Die schönste Geschichte dazu steht im opulenten, unverzichtbaren Katalog. Oberhof- und Hausmarschall August Graf zu Eulenburg beging am 22. Oktober 1918, als die endgültige Niederlage des Reiches unmittelbar bevorstand, seinen 80. Geburtstag. Was konnte ihm noch geschenkt werden? Ein mit der Angelegenheit befasster Ministerialrat hielt fest, dass Eulenburg, „bereits alle preußischen Orden mit Brillanten besitzt“. Da fand sich bei der Generalordenskommission der 1898 eigens für den Kaiser von China angefertigte, doch niemals verliehene „Schwarze Adler-Orden mit Brillanten“, eine nie verliehene Sonderstufe der höchsten preußischen Auszeichnung. Doch schneller als die förmliche Auszeichnung kam das Ende der Monarchie: „Ob es schließlich noch zur Überreichung kam, muss bezweifelt werden“, heißt es lapidar im Katalog. Immerhin blieb Eulenburg im Amt, ein Verwalter der Vergangenheit. Er leitete als letzte Amtshandlung die Beisetzungsfeier der im April 1921 verstorbenen ehemaligen Kaiserin Auguste Victoria. Zwei Monate später, am 16. Juni 1921, starb er in Berlin.

Der langjährige Hofmarschall Zedlitz- Trützschler erinnerte sich an die so gern abgehaltenen kaiserlichen Manöver: „Im Gefecht werden moderne Anforderungen außer acht gelassen, man bemüht sich nur, schöne Bilder zu zeigen. Von Feuervorbereitung hält man gar nichts. Während niemand den Sterbenslaut einer kritischen Bemerkung wagt, gibt es aber sehr hochgestellte und höchste Personen, die Seiner Majestät versichern, wie interessant, lehrreich und prachtvoll alles gewesen sei.“ Was der preußischen Armee blühte, als sie 1914 die Realität des Krieges kennenlernte, steht auf einem anderen Blatt. Der Pomp, zu besichtigen in Wernigerode, wurde 1918 zur unendlich fernen Vergangenheit. 1930 musste der Graf das Schloss für zahlende Besucher öffnen. Das gräfliche Vermögen war aufgezehrt.

Schloss Wernigerode (Harz), bis 2. November. Katalog: Verlag Janos Stekovics, 29,90 €. www.schloss-wernigerode.de

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