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Jeff Koons in der Staatsgalerie Stuttgart neben einer seiner Skulpturen. Für Ullrich ist der Amerikaner ein Beispiel eines "Siegeskünstlers".

© dpa

Wolfgang Ullrich über den Kunstbetrieb: Der Siegeszug der Siegeskünstler

Vor zwei Jahrhunderten hat die Ausstellungskunst die Hofkunst abgelöst. Jetzt stehe ein neuer Paradigmenwechsel an, meint Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich in seinem Buch "Siegerkunst".

Vor knapp sechs Jahren stellte Jeff Koons seine Ballonskulpturen in Schloss Versailles aus. Für Wolfgang Ullrich war dies ein Schlüsselerlebnis, weil die Werke geradezu perfekt ins Ambiente passten. Koons „höfische Unterhaltungsästhetik“ ist nicht die einzige Parallele, die der Kunsthistoriker und Kunstwissenschaftler in seinem neuen Essay „Siegerkunst“ zwischen dem zeitgenössischen Kunstbetrieb und der Adelswelt zieht. Vor zwei Jahrhunderten, so seine These, habe die Ausstellungskunst die Hofkunst abgelöst. Nun stehe wieder ein Paradigmenwechsel an: Der „neue Adel“, die Sieger des 21. Jahrhunderts, kauften Siegerkunst.

Ullrichs Siegerkünstler sind Teil der High Society: Sie verbringen mehr Zeit in Meetings als im Atelier, haben ihren Namen zur Marke gemacht und lassen Werke von Angestellten umsetzen. Nicht nur Koons, den man seit jeher als Verkaufskünstler kennt, auch Gerhard Richters „simpel angelegte Rakelbilder" und Andreas Gurskys Fotografien, die den Sammlern laut Ullrich eine „gottähnliche“ Perspektive auf ihren Alltag (Formel-1-Rennen, Luxusyachten) ermöglichen, gehören in diese Kategorie. Bisweilen wirkt seine Zuordnung aber willkürlich. Vor allem, wenn die Positionen auf Interpretationen reduziert werden, die ausschließlich der These dienen und den Künstlern ein unterkomplexes Werk, den Sammlern allzu große Oberflächlichkeit unterstellen.

Kunst als nettes Accessoire der Superreichen

Wer die Siegerkunst kauft, lässt sich einfacher zusammenfassen: Folgt man dem Autor, sind es die „Superreichen“. Ähnlich wie in seinem Buch „Habenwollen“ (2006) stützt sich Ullrich auf die Annahme, nach der Luxusobjekte der Identitätsbildung wegen angeschafft werden. Erwirbt ein „Superreicher“ ein Werk, das aufgrund des Preises oder provokanten Inhalts maßlos erscheint, stelle sich ein Gefühl von „Coolness“ ein. Dass der Geschmack Rückschlüsse über die feinen (sozialen) Unterschiede gibt, ist nicht neu. Dass Habenwollen vielleicht nicht nur dem eigenen Imagedesign dient, sondern aus Liebe an der Kunst – diesen fall hat Ullrich allein für den bildungsbürgerlichen Museumsbesucher reserviert, der sich Kunst nicht leisten kann.

Wenn er ein Fotoporträt von François Pinault beschreibt, der sich im Palazzo Grassi in Siegerpose ablichten ließ, wird vor allem Ullrichs Haltung gegenüber Sammlern deutlich. Dass das Bild von Juergen Teller stammt, lässt Ullrich ebenso unerwähnt, wie er auf jede Analyse verzichtet. Zweifellos bekennt sich Pinault zur Pose, das framing ist jedoch entscheidend: Teller spielt schließlich gern mit ambivalentem Glamour-Trash.

Wie Künstler Einfluss auf den Bedeutungsapparat nehmen, der sie umgeben soll, wird dafür umso besser vorgeführt. Teller gab sein Foto nicht zum Abdruck frei, und auch andere Künstler wollten ihre Bilder nicht in Ullrichs Buch sehen und erinnern so an vormoderne Zeiten. Auf seinem Blog „Ideenfrei“ kann man eine Stellungnahme zu den Abbildungsverboten nachlesen, im Buch bleiben nicht nur Koons Skulpturen als Leerstellen zurück.

Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Sachbuch. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2016, 16,90 Euro.

Laura Storfner

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