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Kultur: Der stumme Schrei der tanzenden Diana

Zwei Pionierinnen des Tanztheaters schaffen gemeinsam ein Stück.Seit ihrer Ausbildung an der Essener Folkwang-Schule haben Reinhild Hoffmann und Susanne Linke noch nie eine gemeinsame Choreographie entwickelt.

Zwei Pionierinnen des Tanztheaters schaffen gemeinsam ein Stück.Seit ihrer Ausbildung an der Essener Folkwang-Schule haben Reinhild Hoffmann und Susanne Linke noch nie eine gemeinsame Choreographie entwickelt.Nun, nach langen Jahren eigenständiger Theaterarbeit, schien ihnen die Zeit reif für eine solche Kreation.Der Arbeitsprozeß freilich entpuppte sich als Hindernislauf, aufgehalten durch allerlei Krankheiten.So konnten die beiden gestandenen Solistinnen statt einer Premiere vorerst nur zwei Teile des endgültigen Stückes zeigen.

Den Titel "Über Kreuz" nehmen sie dabei wörtlich: räumlich als Schnittpunkt von Vertikale und Horizontale, persönlich als Treffpunkt zweier unterschiedlicher Charaktere.Dieter Appelt hat ihnen dafür einen von weiß bespannten Wänden umgrenzten transparenten Raum geschaffen, der im fahlen Licht von Andreas Greiner zu schweben scheint.Darin ermöglichen zwei bewegliche L-förmige Paravents wechselnde Raumkonstellationen und Spannungsfelder.Zu Beginn des ersten Teils bilden sie eine geschlossene Wandfläche, vor der die beiden Aktricen zunächst als Schattenfiguren erscheinen.Sie proben Ausfallschritte, die sie erst ganz allmählich in den Raum führen.Helmut Lachenmanns Klaviermusik spielt kurz ein "Carmen"-Thema an, um es dann in Clustern und insistierendem Hämmern zu zerfasern.Der einprojizierte Film von Walter Lenertz zeigt die Choreographie, in Laban-Notation aufgeschrieben, als animierte Partitur steigender und fallender Linien.Linien und Flächen ist das abstrakt gesetzte Thema und verdeutlicht doch die so unterschiedliche Persönlichkeit der beiden Tänzerinnen: Reinhild Hoffmann punktgenau und beherrscht, Susanne Linke mit nervöser, raumgreifender Energie sie umspielend.

Im zweiten Teil, zur sphärischen Musik von Salvatore Sciarrino, haben sich die Aktricen ihrer strengen schwarzen Hosenanzüge (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer, Barbara Carbonell) entledigt und tragen nun elegante lange Röcke.Hoffmann erscheint wie eine tanzende Diana mit einem Hirschgeweih in der Hand, den Mund immer wieder zum stummen Schrei geöffnet.Die raumteilenden Wände sind jetzt in die Diagonale gedreht.Linke schneidet die Wege ihrer Partnerin mit Arm-Schritt-Kombinationen, die das Bewegungsmaterial des Anfangs variieren.Nie jedoch begegnen sich die beiden Frauen.Ihre Beziehung regelt sich allein über ihr Verhältnis im Raum.

Reinhild Hoffmann und Susanne Linke beglaubigen ihren Ausflug zu den Wurzeln des modernen Tanzes mit hoher Bühnenpräsenz, auch wenn in der Choreographie noch redundante Stellen auszumachen sind.Vor allem ihre räumliche Beziehung zueinander bedarf noch der Klärung.Wenn am 11.Juni die endgültige Premiere herauskommt, werden noch zwei Soli zum Thema "Körperkreuz" sowie die Schlußsentenz über die Raum und Zeit vereinende Spirale das Bild runden.Dann wird neben Rudolf von Laban die andere große Wegbereiterin des modernen Tanzes, Mary Wigman, im Stück präsent sein.Erst dann läßt sich sagen, wohin Hoffman und Linke aufgebrochen sind.

NORBERT SERVOS

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