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Kultur: Der Sturm auf Bagdads Bastille

Amerika ist nicht Amnesty International: Amerikanische Liberale sehen den Krieg gegen den Irak als Vollendung der Aufklärung

Nie wird so viel gelogen wie vor einem Krieg, diese Binsenweisheit gilt auch für Demokratien. Geht es der Bush-Regierung bei ihrem Krieg gegen den Irak um die Menschenrechte? Um unterdrückte Kurden und Iraker? Geht es darum, den Mittleren Osten in den Griff zu bekommen, geht es um Öl, geht es um die Sicherheit Israels, geht es um die nächsten Präsidentschaftswahlen, ist es eine persönliche Sache der Präsidentenfamilie? Ist es vielleicht eine Mischung aus all dem? Fest steht, dass man die Antwort in den offiziellen Äußerungen der Bush-Regierung nicht wird finden können.

Die Leute suchen nach dem Sinn eines Krieges, der wahrscheinlich demnächst anfängt.

In der „New York Times“ stand vor einigen Tagen der Satz: „Amerika ist ein Imperium, und zwar weder ein besseres noch ein schlechteres als andere Imperien – zu erwarten, dass Amerika sich verhält wie Amnesty International, ist einfach nur dämlich.“

Warum gibt es in den USA keine größere Antikriegsbewegung? Was ist los mit den amerikanischen Liberalen? Dieser Frage geht George Packer nach, der Autor des zitierten Artikels in der „New York Times“. Er hat mit vielen Wortführern der amerikanischen Intellektuellen gesprochen, die sich fast alle als Liberale verstehen – Michael Walzer, Christopher Hitchens, David Rieff, Leon Wieseltier, Paul Berman.

Viele dieser amerikanischen Intellektuellen hatten vor einigen Jahren, während des Bosnienkrieges, eine Art Pauluserlebnis. Sie hatten den Vietnamkrieg in Erinnerung. Vietnam, das große Trauma. Sie hatten erlebt, wie die USA blutrünstige Diktatoren in Südamerika installierten und der gute Freund jedes Schurkenstaates waren, vorausgesetzt, dieser Schurkenstaat war nicht kommunistisch. Wirklich: Die USA verhielten sich jahrzehntelang konsequent anders als Amnesty International. In Bosnien aber erlebte man ein anderes Amerika. Es war wieder das Amerika des Zweiten Weltkriegs, der Hitlerbesieger, der selbstlose Ritter der Demokratie. Die USA verhinderten einen weiteren Völkermord, nicht aus ökonomischem oder Machtinteresse, nein, einfach so.

Das Bosnien-Erlebnis hat einen Teil der liberalen amerikanischen Intellektuellen mit der Politik ihres Landes versöhnt. Die Konservativen waren damals anderer Ansicht. Dass eine amerikanische Regierung junge Amerikaner sterben lässt, im Kampf für die Menschenrechte irgendwelcher Ausländer – dieser Gedanke gefiel den meisten Konservativen überhaupt nicht. Er gefiel auch George W. Bush nicht. Bush und viele Mitglieder seiner Regierung hatten fast nur Spott und Verachtung für das nervtötende Menschenrechtsgerede der Linken übrig, bis sie eines Tages das leidende irakische Volk entdeckten. Man wird, was ihre Motive betrifft, ein wenig misstrauisch sein dürfen.

Christopher Hitchens hat ein wütendes Buch über die politischen Sünden von Henry Kissinger geschrieben und ist, obwohl in England geboren, zur Zeit einer der Wortführer der Pro-Kriegs-Fraktion in der amerikanischen Linken. Hitchens und andere sehen im scheinbar willkürlichen Angriff auf den Irak die logische, fast zwingende Antwort auf die Herausforderung des 11. September. Kein Offizieller wage es, den eigentlichen Casus belli offen auszusprechen, aus gutem Grund. Denn was jetzt bevorsteht, sei der Gegenangriff des Westens. Der Angriff auf die islamische Welt. Amerika greift den islamischen Terrorismus an seiner Wurzel an, indem es versucht, die islamische Welt zu verändern.

Die Argumentation dieser Liberalen hat Paul Berman in dem demnächst in den USA erscheinenden Buch „Terror and Liberalism“ zusammengefasst. Es komme für den Westen darauf an, möglichst schnell ein möglichst großes islamisches Land unter Kontrolle zu bekommen. Dank Saddam Hussein kann man einen Krieg gegen den Irak irgendwie begründen. Gut, dass es einen Outlaw wie ihn in dieser Gegend zur Zeit zufällig gibt! Im Irak soll ein demokratisch verfasstes, säkulares, offenes, die Menschenrechte achtendes, mit anderen Worten: ein islamisches Land neuen Typs entstehen. Dieser neue Irak kann Schaufenster und Brückenkopf des Westens werden und langfristig die ganze Region kulturell umprägen. Es geht also darum, die europäische Erfolgsgeschichte im Mittleren Osten zu wiederholen – die Deutschen wurden amerikanisiert und gezähmt, der Kommunismus wurde besiegt, das alles mit der Kraft von Freiheit und Wohlstand und ein bisschen Geduld. Ob dieses Rezept auch im Mittleren Osten funktionieren kann, ist die andere Frage. Letztlich weiß man es erst, nachdem man es ausprobiert hat.

Amerikanisierung als Revolution

Etliche amerikanische Liberale unterstützen also den Krieg, weil es sich dabei in ihren Augen um die erste Seite im letzten Akt der liberal-kapitalistischen Weltrevolution handelt. Die Welteroberung durch die Ideen der französischen Revolution wird siegreich abgeschlossen. Ihr radikalen Muslime habt tatsächlich geglaubt, der Westen sei schlapp und dekadent? Amerikanisierung sei die „letzte revolutionäre Kraft“ auf dieser Welt, sagt Christopher Hitchens.

Auf der einen Seite steht die Trennung von Kirche und Staat, auf der anderen Seite eine mit der Religion verbündete anti-individualistische Tyrannei. Die Geschichte aber verläuft nur selten geradlinig. Napoleon zum Beispiel verbreitete mit dem Schwert auf der halben Welt die Ideen der französischen Revolution – die Ideen, die er selber verraten hatte, indem er sich zum Kaiser krönte. Und George W. Bush ist nicht einmal ein Liberaler. Die Araber sind ihm vermutlich egal. Er interessiert sich vermutlich nur für die USA. Aber er will einen Krieg führen, zu dessen Ergebnissen es gehört, dass in Bagdad die Frauen Miniröcke tragen dürfen und in den Restaurants Alkohol ausgeschenkt wird.

Bushs Leute werden nicht sagen, worum es in diesem Krieg geht, sonst können sie sämtliche Überflug- und Landerechte im Mittleren Osten vergessen und alles wird noch viel schwieriger. Sie müssen so tun, als ginge es nur um Saddam Hussein, um die angeblich von ihm, seiner schon vor Jahren schrottreif gebombten Armee und seinen Operettengenerälen ausgehende Bedrohung und um nichts anderes, auch wenn es noch so unglaubwürdig klingt.

Der amerikanische Philosoph Michael Walzer, Autor des Buches „Just and unjust wars“, ein Spezialist also für die Frage nach dem gerechten Krieg, hat in der „New York Times“ erklärt, was auf der Hand liegt: Ein Angriff auf den Irak ist kein gerechter Krieg. Dass der Irak möglicherweise ein anderes Land angreifen könnte, nein, daraus lasse sich beim besten Willen kein gerechter Krieg ableiten. Der Irak müsste schon etwas tun, jemanden konkret bedrohen, Armeen aufmarschieren lassen…

Man muss sich daran erinnern, gegen wen dieser Krieg in Wirklichkeit geführt wird. Es geht nicht um den Irak, sondern um den militanten, terroristischen Islamismus. Es geht um den 11. September, den Massenmord, der eine Kriegserklärung an Amerika war. Diese Kriegserklärung mussten die USA annehmen, es blieb ihnen nichts anderes übrig, und sie müssen ihn gewinnen, in unser aller Interesse. Sind wir etwa für den Islamismus oder für den Terror? Wollen wir uns in Diskotheken in die Luft sprengen lassen? Die USA aber tun den Islamisten und ihrem Anführer nicht den Gefallen, sich zu verzetteln. Mal hier eine Bande auszuheben, mal dort ein Guerilla-Scharmützel zu gewinnen, das führt zu nichts. Die USA haben sich dazu entschlossen, ohne Umwege direkt in die Höhle des Drachen zu gehen. In die Region, wo der Islamismus wohnt. Sie benutzen dazu nicht den Haupteingang, Saudi-Arabien, sondern die Tür, die sich am leichtesten öffnen lässt.

Modell Nachkriegsdeutschland

Weil sie das für eine Strategie der Bush-Regierung halten, zu der es im Augenblick keine überzeugende Alternative gibt, sind relativ viele amerikanische Intellektuelle für den Krieg. Auch solche, die keine Bush-Fans sind (das sind ohnehin die wenigsten). Auch solche, die der US-Außenpolitik der letzten Jahrzehnte ablehnend gegenüberstehen, wie Hitchens. Michael Walzer schwankt.

Auch in Deutschland ist die Linke in der Kriegsfrage gespalten. Die Horst-Eberhard-Richter-Fraktion, pazifistisch geprägt, ist gegen den Krieg. In der postmarxistischen Linken und deren Zentralorgan „Jungle World“ ist man eher dafür. Die postmarxistische Linke erinnert daran, dass Deutschland seine Befreiung von Hitler einem Krieg mit anschließendem Besatzungs-Regime verdankt. Der Berliner Politologe Herfried Münkler hat in der „Frankfurter Rundschau“ die „blockierte Entwicklung“ der islamischen Welt als Hauptursache des Terrorismus benannt. Die Aufklärung muss in diesen Winkel der Welt getragen werden, der nach einer Studie der UN trotz seines Ölreichtums in seiner Entwicklung noch deutlich hinter Schwarzafrika liegt – bei den Freiheiten, bei den Menschenrechten, bei der Offenheit, bei den Aufstiegschancen für Unterprivilegierte. Münklers Plädoyer gegen den bequemen und selbstgerechten deutschen Pazifismus sorgte bei der Leserschaft der „Rundschau“ für sehr viel Aufregung.

Der Angriff gegen den Irak ist Teil des Krieges gegen den Terrorismus – in dieser Sichtweise, und nur in dieser, lässt er sich rechtfertigen. Die Begründung für den Angriff ist fadenscheinig, weil aus taktischen Gründen nicht gesagt werden kann, worum es wirklich geht. Denn vor einem Krieg und in einem Krieg wird ja fast nie die Wahrheit gesagt.

Die andere, letzte und wichtigste Binsenweisheit: Es ist nicht möglich, einen Krieg zu führen, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Deswegen hasst man den Krieg ja - es gibt keine schöne, angenehme Variante davon, nichts, worauf man wirklich stolz sein könnte, keine sauberen Siege. Der Kampf gegen Hitler ist für uns heute der Inbegriff des gerechten Krieges, und doch enthält sogar dieser gerechteste aller gerechten Kriege Verbrechen, zum Beispiel die Bombardierung Dresdens. Gab es jemals eine Armee, die im Krieg keine Verbrechen begangen hätte? „Du sollst nicht töten“ – wer dieses mächtigste unserer kulturellen Tabus außer Kraft setzt, muss wissen, worauf er sich einlässt.

Das heißt nicht, dass man Kriegsverbrechen hinnehmen müsste, oder dass der Zweck die Mittel heiligt. Es heißt nur: Egal, was wir tun – wir, der Westen –, wenn wir uns wehren, werden auch wir am Ende mit schmutzigen Händen dastehen. Ist der Krieg gegen den Islamismus ein gerechter Krieg, ein Krieg, der geführt und gewonnen werden muss? Ja. Denn die Alternative hieße: Abwarten. Warten auf den nächsten 11. September. Und das geht nicht.

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