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Kultur: Der Tastentiger

Er hat den Swing: dem Jazzpianisten Oscar Peterson zum 80.

Von dem Dichter Peter Rühmkorf stammt der Satz „Aus Scheiße Gold schmieden“. Oscar Peterson ist darin der definitive Meister. Der zwölftaktige „Aufreißer“ C-Jam Blues von Duke Ellington besteht aus den Tönen G und C. Wenn Peterson sich dieses rachitischen Musik-Säuglings annimmt, dann entsteht große, flammende Musik. Sie scheint zu stürmen. Hüte fliegen. Und genauso muss Jazz sein! Kapiert? Petersons Credo ist das eines zutiefst Konservativen: „Wenn Musik wie Verkehrschaos klingen soll, dann muss man auf die Straße gehen und ein Verkehrschaos verursachen. Aber das Klavier sollte man in Ruhe lassen.“

Hast du gehört, Cecil Taylor, der du die Klaviere zu Kaminholz zersägst? Wahrlich, das ist ein offenes Wort! Ich hab’ Oscar Peterson immer gern gehört, versuchte sogar, ihn nachzuäffen. Bin kläglich daran gescheitert. Er war für mich immer ein furchterregendes Riff, umgeben von beflissenen Pianisten, die an ihn nicht heranreichen. Seine Konzerte hatten oft etwas von Noa Noa, etwas Südseehaftes, etwas Unwirkliches, die stets gut besuchten Events von Big Oscar. Heute vor achtzig Jahren wurde er in Montreal geboren. Alle Revolutionen des Jazz sind an dieser Musik vorübergerauscht, ohne auch nur eine einzige Palme zu knicken.

Bei Peterson wird man keinen einzigen Cluster finden. Nie quält er seinen Flügel nach Art der Avantgardisten, die in die Saiten Pferdescheiße, Handtücher oder Ziegel werfen. Stattdessen bietet der Großwesir des Pianos Paraphrasen auf Evergreens. Ich gehe so weit und sage: Er kann aus einem Murks wie „Blue Moon“ herrliche Musik machen. Peterson ist ein fantastischer Deuter von „Broadway Material“. Aber noch umwerfender ist die Art, wie er Blues spielt. So lässig und ausgeschlafen wie Oscar geht keiner mit den zwölf Takten und drei Harmonien um. Three Cheers for Peterson!

Oscar Peterson ist in seinem Wesen ein imperialer Pianist. Alle anderen haben ihm irgendwie die Schleppe zu halten und sind doch keineswegs nur Schranzen. Gemeinsam mit dem Piano-Fürsten beherrschen sie einen Spielkodex, der sich am American Songbook orientiert und gekrönt wird von dem fast eisernen „Willen zum Swing“. So lautet der Titel von Petersons Biografie. Oscar hat sich bis heute gut gehalten, wie eine Moorleiche, sagen seine Verächter. Ich aber sage: Ihr Stinker, kniet nieder vor Oscars wunderbar ausgeruhten Einleitungen, vor seinen donnernden Akkordpassagen, vor seinen relaxten Dezimen der linken Hand, vor dieser somnambulen Klavierkultur.

Manchmal spielt Peterson so, als wollte er seinem Flügel sagen: „Nun fang doch endlich an zu singen.“ Wunsch aller Pianisten. Oscar Emanuel Peterson ist etwas Kostbares: wie ein historisches, holzgetäfeltes Warenhaus. Eigentlich ist er ein Zauberer. Aus dem kompositorischen Schrott des amerikanischen Showbusiness macht er Klang-Juwelen. Und die liegen für alle Zeiten Seit’ an Seit’ mit den Giganten der Musik im Tresor der Geschichte. Seine grandiosen „Jazz-At-The-Philharmonic“Exzesse. Seine stillen, fast philosophischen Piano-Soli. Und vor allem seine heiter bouncenden Einspielungen an der Seite von Ella Fitzgerald und Louis Armstrong. Man staunt und beginnt zu ahnen, dass die lichten Seiten des 20. Jahrhunderts auch diesen wunderbaren Musikern zu verdanken sind. Oscar Peterson hat den Flügel völlig im Griff.

Es ist der Griff eines Tigers, der eine Gazelle gepackt hat. Und wer wissen will, wie Oscar in seinem Innersten wirklich tickt, der sollte sich seine Trio-Aufnahme von Ellingtons „C-Jam Blues“ auflegen. Das klingt so katzenpfötig und elegant! Man staunt über dieses Triumvirat des Jazz und weiß sofort: Die gehören in die Hall of Fame! Dieser Jazz atmet eine Maxime von Charlie Parker: „Aber Menschenskind, die Kunst hat keine Grenze.“ Schließlich, nichts gegen Keith Jarrett. Nichts gegen Chick Corea. Aber den definitiven Drive, den unerreichbaren Punch hat Oscar Emanuel Peterson. Er ist der Max Schmeling des Pianos.

Der Autor, geboren 1934, ist Pianist. Von 1971 bis 1999 leitete Naura die Jazzredaktion des NDR.

Michael Naura

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