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Kultur: Der Tycoon, ein Kumpel

Geachtet, gefürchtet, geliebt: Heute wird der Berliner Filmproduzent Artur Brauner 85 Jahre alt

Er ist Produzent, durch und durch. Ein Produzent macht, schafft. Hat Visionen. Schießt schon mal übers Ziel hinaus. Redet Leuten rein und lässt sich selber nicht reinreden. Boxt was durch: selbstbewusst bis zum Eigensinn, auch mal mutig bis zur finanziellen Selbstzerfleischung, mal geliebt und mal gehasst, immer aber, wenn er denn was taugt als Boss, auch gefürchtet. Also: geachtet – selbst von seinen Feinden.

So könnte man über das Filmproduzenten-Urgestein Harvey Weinstein reden, den Boss-Koloss des amerikanischen Studios Miramax, und so darf man wohl auch seinen höchst vitalen Ahnen im Geiste betrachten: Artur Brauner. Ganz früher mal Abraham Brauner, damals im polnischen Lodz, vor genau 85 Jahren. Heute für viele, die in Berlin kräftig mitmischen, so wie auch er immer noch mitmischt, kurz Atze. Das doppelte Adelsprädikat der Berliner: Nimm den Vornamen und verballhorne ihn nach Kräften. Artur „Atze“ Brauner: der Tycoon als Kumpel.

Hassen und lieben, kämpfen und genießen, vom Schlachtengetümmel der Medien und Zivilgerichte zur Schlachteplatte von Partys, Bällen und Empfängen: In der Person Artur Brauners steckt darin kein Gegensatz. Die wilde Lust an der Polemik, wenn’s denn die gute Sache erfordert und das süchtig machende Bad immer wieder in der Menge der Hauptstadt-Society: Das ist es, was an „Atze“ fasziniert. Und imponiert, über alle allseits geschlagenen Wunden hinaus.

Die schlimmste Wunde allerdings trägt „Atze“ selbst – aus einer Zeit, als an den Berliner Kumpel-Ritterschlag noch nicht zu denken war: das Überlebenstrauma eines Juden, dessen Verwandtschaft von den Nazis fast vollzählig getötet wurde. Er selbst war gerade 21, als die Deutschen Polen besetzten, und entschied sich, weil er die Deportation ins Ghetto fürchtete, gegen den Judenstern. Tauchte unter und überlebte und tauchte kurz nach Kriegsende mit einem Koffer voller Reichsmark in Berlin wieder auf. Ausgerechnet Berlin. So gab er den Deutschen und der Stadt – und sich selbst in dieser Stadt – eine Chance.

Es sollte sich lohnen. 1946 gründete Artur Brauner auf dem Gelände einer ehemaligen Giftgasfabrik die Spandauer CCC-Studios, für knapp zwei Jahrzehnte seine eigene Traumfabrik, nun, in den Fünfziger Jahren eher eine Träumchenfabrik. Schließlich hatte er, aus neuen Wunden, schnell gelernt: Die Deutschen hatten 1948 jene Kinos mit Steinen beworfen, die seinen Film „Morituri“ zu zeigen wagten, eine Geschichte, die fast die seine hätte sein können – eine von geflohenen KZ-Häftlingen und ihrem Überleben im Versteck. Ein Boykott, und fast Brauners Ruin. Also gab Brauner dem Publikum, was das Publikum sehen wollte: Komödien, Karl May, Edgar Wallace. Dann kam das Fernsehen.

Aber Brauner geht es als Produzent nicht nur um den geschäftlichen Erfolg. Er holte nicht nur bald die jüdischen Remigranten, etwa Fritz Lang („Das indische Grabmal“) und Robert Siodmak („Die Ratten“), zurück an den Set – er produzierte bis heute 20 Filme über sein großes Lebensthema, die Vernichtung der Juden durch die Nazis. Sein neuester, „Babi Jar“, ist als Memento mori jenes Massakers im weißrussischen Dorf Babi Jar gedacht, bei dem über 30 000 Juden zu Tode kamen. Aber der unabweisbaren thematischen Wucht steht ein ebenso umfassendes formales Ungenügen entgegen.

Schon bei Agnieszka Hollands „Hitlerjunge Salomon“, den Brauner koproduzierte und der 1992 seine Hoffnung auf einen Auslands-Oscar war, gab es diesen Widerspruch, für den ein leidenschaftlicher Produzent vielleicht blind bleiben muss. Noch heute deutet er die Ablehnung durch die deutsche Auswahlkommission politisch, nicht filmästhetisch. Schnell ist man da beim Opfer, bei Tätern, und es lässt sich kaum mehr vernünftig argumentieren vor lauter deutschem Gedankenminenfeld. Später spendete Brauner Helmut Kohl demonstrativ und öffentlich Geld, als der jeglichen politischen Kredit verspielt hatte – aber auch das ist wohl jener Geächteten-Solidarität geschuldet, über die man als Deutscher wohl als letzter urteilen darf.

Aber heute ist Geburtstag! Schließen wir also schnell die Archivmappen der zahlreichen Feldzüge, die Brauner vor allem in seinen späteren Lebensjahrzehnten mal mit größerem, mal mit geringerem Erfolg führte. Gratulieren wir hinüber nach Italien, wo er, wie man hört, feiern soll – ausnahmsweise abseits vom Trubel: unser Atze.

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