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Kultur: Der Vater mit der Tochter

100 Jahre Theater Cottbus: Wagners „Walküre“ als Wagnis zum Wonnefest

Das Jubiläum macht’s möglich: Fünf Jahre nach dem „Rheingold“ kann sich Cottbus die Fortsetzung seines ehrgeizigen Wagner-Projekts leisten. Die Festwoche zum 100. Jahrestag der Eröffnung des Theaters am Schillerplatz, die am vergangenen Mittwoch mit einer Rede von Bundespräsident Köhler eingeleitet worden war, krönte am Sonnabend eine Neuinszenierung der „Walküre“. Dabei hat die von Bernhard Sehring geschaffene Bühne eigentlich so gar nichts Germanisches. Der Architekt, dem die Berliner ihr Theater des Westens verdanken, feiert bei seinem Cottbuser Bühnenbau alle Hochkulturen des Abendlands. Rings um den Eingang hockt so manche Stein-Sphinx, griechische Skulpturen schmücken die Wandelhalle, im 1. Rang sind Renaissance-Vasen zu bewundern. Die Saalform selber folgt den Regeln des Barock, über den Proszeniumslogen thronen von Panthern gezogene Streitwagen. An der Decke des Hauptfoyers schließlich wird die Moderne gefeiert, mit einem Sternenhimmel aus nackten Glühbirnen im Stuckraster, wie es 1908 der letzte Schrei war.

In diesem märchenhaften Jugendstil-Ambiente gehen also nun die Machtkämpfe der Götter, Gnomen und Germanen weiter: So sehr der Hauptstädter auch davon überzeugt sein mag, dass Wagners „Ring“ wegen seiner logistischen wie besetzungstechnischen Zumutungen nur etwas für die ganz großen Opernhäuser ist, so sehr drängt es traditionell doch auch die Provinz, sich gerade am Schwierigsten des Spielplans auszutesten. Neben Cottbus ringen derzeit auch die Stadttheater von Lübeck, Detmold und Coburg mit der Tetralogie.

In der Lausitz strebt man sogar nach dem legendären Bayreuther Klang. Weil aber eben nur der Grüne Hügel über den abgedeckten Orchestergraben verfügt, in dem sich Instrumente so mirakulös mischen, und weil im Cottbuser Graben sowieso keine große Wagner-Besetzung Platz fände, setzt man die Musiker hier gleich auf der Bühne. Und in der Tat: Das Philharmonische Orchester tönt von dort aus recht charakteristisch musikdramatisch. Dunkel und geheimnisvoll fächert sich die Palette der Farben auf, die hohen Streicher bleiben vielleicht etwas mulmig, die Blechbläser kämpfen hörbar, aber der Wagner-Sound, der bewunderte und geliebte, ist da. Und das Orchester, dem der Komponist durch seine Leitmotivtechnik eine so wichtige Rolle als autonomer, oft den Akteuren widersprechender Kommentator des Bühnengeschehens gegeben hat, wird tatsächlich einmal ganz konkret als Hauptakteur sichtbar.

Evan Christ, der neue Generalmusikdirektor, besteht an diesem Abend seine Feuertaufe: Packend, wie er im Vorspiel zum ersten Akt die Naturgewalten entfesselt, bewundernswert, wie er dann die Spannung hält, die Handlung unterstützend vorantreibt – mit dem Rücken zur Szene! –, wie er auch am Ende seine erschöpften Musiker mit sprechender Gestik immer wieder neu motiviert. Umgekehrt hat auch die bis zu den ersten Reihen vorgezogene Szene ihre Vorteile, trotz des knapp bemessenen Spiel-Raums. Das Beziehungsgespräch in Walhall, traditionell ein Moment fürs Abonnentennickerchen, entwickelt echte psychodramatische Sprengkraft, wenn Carola Fischer als Fricka im Gayle- Tufts-Look hereinrauscht, eine Stellvertreterdiskussion um den Inzest des Zwillingspaars Siegmund und Sieglinde anzettelt, Wotan auf seine eigenen Gesetze festnagelt und damit zwingt, seinen liebsten unehelichen Sohn zu opfern.

Auch Wotans Abschied von Brünnhilde geht den Zuschauern hier in jeder Hinsicht nah: Lisa Livingston, die trotz des abscheulichen Glatzkopf-Maden-Looks (Ausstattung: Gundula Martin) der Walküre Würde bewahrt, reißt ihrem Erziehungsberechtigten die verspiegelte Macho-Sonnenbrille herunter – und der Gott hat Tränen im Auge, der Panzer der Autorität, den sich Karsten Mewes mit kernigem Prachtbass geschaffen hat, fällt ab. Vater und Tochter, im Schmerz vereint.

Martin Schüler, der seit 1992 am Cottbuser Theater arbeitet, zunächst als Operndirektor, seit 2003 als Intendant, will weder das Rad noch den „Ring“ neu erfinden. Interpretatorisch hält er sich bedeckt, zielt ganz darauf ab, die privaten Konflikte zu illustrieren. Vieles läuft darum allzu routiniert ab, wenn sich die Sänger nur auf sein Handwerk verlassen. Anna Sommerfeld allerdings nutzt die Hilfestellung des Regisseurs, um die Sieglinde in sich selbst zu finden: Erst eine Ahnungslose mit mädchenhaft reinem Sopran, bis sie ihren Siegmund (zu schnell ausgepowert: John Pierce) erkennt, zur Frau reift und Stimmkraft gewinnt, um im dritten Akt schließlich als allzu frühe Witwe zu enden, mit irrem Blick und dramatisch flackerndem Organ.

Wann „Siegfried“ folgen wird, steht noch in den Sternen. Wagner, sagt Schüler, ist finanziell an seinem Haus nur zu besonderen Ereignissen möglich. Vielleicht ist das gar nicht so schlecht. Die Zeit zum Wachsen und Reifen kann ihr nur gut tun, dieser Cottbuser Tetralogie mit Jahresringen.

Wieder am 25. und 30. Oktober, am 8. November sowie am 26. Dezember.

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