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Kultur: Der Vorhang fällt

Eine

von Christiane Peitz

Es war das letzte Mal. Am Mittwoch hatte sich der Papst noch einmal gezeigt, wie an Ostern war der weiße Vorhang aufgegangen, sein Rollstuhl hatte sich dem Fenster genähert, der Sitz war von einer unsichtbaren Hydraulik nach oben gefahren worden. Pontifex ex machina: Der Papst hatte sein Reptilgesicht aus der Soutane gereckt, gewunken, gezittert, noch einmal zu sprechen versucht und den Mund wie zum stummen Schrei geöffnet, als sei’s ein Bild von Edward Munch oder Francis Bacon. Auf der Gesichtshaut von Johannes Paul II. lag ein babyweicher Schimmer. Ein stilles, beredtes Bild. Ein Theaterstück, minutenkurz, ein Endspiel, der Vorhang fällt.

Seht her, das bin ich, der sterbende Papst. Seht, ich bin alt, krank und leidend, meine Stimme gehorcht mir nicht mehr. Aber ich bin von dieser Welt, genauso wie die Jungen, die Schönen, die Wortgewaltigen. Ich lasse mich nicht wegsperren. Es war, als ob der Medienpapst noch mit seinem siechen Leib Körperpolitik betreibe: So jedenfalls entzifferten wir Zuschauer, ob gläubig oder nicht, die Botschaft dieses Auftritts. Als eine Demonstration.

Der Katholizismus ist ja die Religion des Demonstrierens, des öffentlich Herzeigens. Seit jeher betreibt er den Kult des Sichtbaren, des sinnlich Erfahrbaren. Dies ist mein Leib – die Kommunion. Ecce Homo – der Erlöser. An Fronleichnam wird der Vorhang des Tabernakels beiseite geschoben und die Monstranz mit der Hostie durch die Straßen getragen. Und nach der Auferstehung darf der ungläubige Thomas den Finger in die Seitenwunde des Gekreuzigten legen. Eine Religion zum Anfassen, zum Anschauen. Ihr Gott ist schließlich einer, der öffentlich gestorben ist.

Aber was lehrte uns der Anschauungsunterricht auf dem Petersplatz wirklich? Dass der Papst die Würde des Amtes und des Alters ebenso öffentlich und offensiv zur Schau stellen wollte, solange er es irgendwie noch vermochte? Dass der Stellvertreter Gottes auf Erden, der Hauptdarsteller in diesem Stück katholischer Kirchengeschichte, bis zuletzt auch dessen Regisseur war? Oder ist es umgekehrt: Wurde er vom Dienstapparat des kleinsten Staates der Welt ans Fenster geschoben, gehoben? Als altehrwürdige Marionette an den Fäden des Vatikan?

Das letzte Bild, der letzte Akt: Im Zentrum bleibt das Geheimnis.

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