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Kultur: Der wahre Wolf

Weltsensation im Museumsuntergrund: Ein neues altes Mozart-Bild hängt monatelang unbemerkt in der Berliner Gemäldegalerie

„Unbekanntes Mozart-Porträt in Berlin entdeckt“, war gestern Morgen zu lesen. Gestern Mittag steht man nun in der Berliner Gemäldegalerie vor dem sensationellen, weil vermutlich letzten authentischen Konterfei des musikalischen Weltgenies und ist mit dem still lächelnden Museumswärter – allein. Kein Mensch sonst auf den langen weiten Fluren im Untergeschoss des Museums. Ein Mirakel der Massenmediengesellschaft?

Das wahre Wunder ist dies: Das Ende Oktober oder Anfang November 1790, ein Jahr vor Mozarts Tod beim Besuch des Komponisten in München von seinem österreichischen Landsmann Johann Georg Edlinger (1756–1819) gemalte Porträt hängt bereits seit Juni letzten Jahres im Raum 54, dem hintersten Saal der im Souterrain gelegenen „Studiengalerie“ der Gemäldesammlung. Während alle Welt nun auf eine angeblich erste öffentliche Präsentation des Bildes am 27. Januar, dem 249. Geburtstag Mozarts, eingestimmt wurde.

Die Entdeckung des Werks und seine Wahrnehmung in Berlin wirkt jetzt umso kurioser. Als Schenkung eines Privatmannes, der das Edlinger-Gemälde von einem Münchner Kunsthändler für 650 Reichsmark erworben hatte, gelangte es 1934 als „Herrenbildnis“ ins Depot des damaligen Kaiser Friedrich-Museums (heute Bodemuseum) auf der Museumsinsel. Über 50 Jahre später wurde der Informatiker Wolfgang Seiller aus Ottobrunn bei München, ein Nachfahre des Kunstmalers Edlinger, auf eine Dissertation über den Ahnen aufmerksam. Darin fand sich briefmarkengroß eine Abbildung des „Porträt eines Unbekannten“. Seiller, auch ein Musikliebhaber, stieß zudem auf ein anonymes, fast gleichformatiges Gemälde aus dem Jahr 1777, das – entsprechend beschriftet – Wolfgang Amadeus Mozart neben einem Klavier zeigt und das sich heute im Besitz des Civico Museo Bibliografico Musicale in Bologna befindet.

Der Informatiker und Kunstdetektiv aus Ottobrunn begann nun mit einem speziellen Computerprogramm die Gesichtszüge beider Porträts anthropometrisch zu vergleichen. Außerdem war sicher, dass Mozart und der Maler Edlinger in der Münchner Kaufingerstraße zur selben Zeit im Gasthof zum „Schwarzen Adler“ verkehrten. Sie kannten einander wohl. 1993 wandte sich Seiller an den heutigen Oberkustos der Gemäldegalerie Rainer Michaelis, später begann Ute Stehr das inzwischen Mozart-verdächtige, im Krieg nicht ausgelagerte und längst brüchige, in der Leinwand zum Teil geknickte und löchrige Ölbild zu restaurieren. Und 1999 stellten Michaelis und Seiller das nunmehr als gesichert geltende Portrait im Salzburger Mozart-Jahrbuch zum ersten Mal einem winzigen Fachpublikum vor. Da wundert man sich einmal mehr, wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre Museumsschätze verschenkt.

Auch fünf Jahre später, im Juliheft 2004 des vom Museumspädagogischen Dienst Berlin herausgegebenen Journals, blieb auf Seite 32/33 der Aufsatz „Das Berliner Bildnis des Wolfgang Amadeus Mozart“ fast unbeachtet. Wie das 80 x 62,5 cm messende Gemälde, das sich im Raum 54 neben Porträts von Kammerräten und ihren Gattinnen sowie, immerhin, gegenüber Antoine Pesnes Gemälde des jungen Friedrich des Großen findet.

Restaurierungsspuren, dezent zwar im Haar oder bei den nachgefärbten Lippen, sind unverkennbar. Ein schnell, ohne Vorskizze gemaltes, die Geniehand auf dem Samtsessel nur verwischt anreißendes, für die Gesichtszüge aber achtsames Bild. Der erst 34-jährige Mozart, aufgedunsen mit geröteten Augenrändern, wirkt dabei für uns Heutige 20 Jahre älter. Doch der spöttisch wache Blick und der ironisch sinnliche Mund unter der spitzigen Nase zeigen den wahren Wolf, nicht das verzuckerte Wolferl. Ähnlich wie bei Büchner und Kleist, von denen nur ein, zwei authentische Porträts existieren, kann sich die Nachwelt nun auch von Mozart ein geisterhaft lebendiges Bild machen.

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